Dauer:1 Monat, 5 Tage
Zeitraum:11.7.2023 bis 14.8.2023
Entfernung:1700 Kilometer
Bereiste Länder:eeEstland
fiFinnland
lvLettland
ltLitauen
seSchweden

Radreise durch das Baltikum über Finnland nach Stockholm

Highlights der Reise: die Zeltplätze!

Und Fotos werden nach der Verifizierung beigefügt.


11.07.23 Köln -> Kiel (23km)
Wir radeln mit den schwerbepackten Rädern zum Bahnhof Köln-Deutz. Und tatsächlich - der ICE nach HH fährt ein und kommt nur mit 25 Min. Verspätung in HH an; dadurch verpassten wir zwar unseren Anschlusszug nach Kiel, aber wegen des Chaos stand ein anderer Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis und der brachte uns problemlos nach Kiel.
Durch das Kieler Stadtzentrum geradelt, hatten wir erstmal keinen so positiven Eindruck von der Stadt. Der Baustil nennt sich „modernistisch“, na ja. Muss man nicht sehen. Aber die Lage am Meer verleiht Kiel ihren Charme ohne Zweifel. Wir verbringen eine kurze Rast an einem Seitenarm des Hafens, wo wir unser Picknick einnahmen.

Zur Fähre nach Klaipeda mussten wir 6 km radeln, der Hafen liegt im Industriegebiet. Wir werden ohne Probleme durchgewinkt auf die Fähre und bekommen dort einen Fahrradplatz zugewiesen. Man fordert uns auf, die Räder mit einer dicken rostigen Kette an der Bordwand zu befestigen. Dann schauen wir uns vom Deck aus fasziniert zwei Stunden lang die Meisterleistung der LKW- und Trailerfahrer an, die millimetergenau Ihre Fahrzeuge auf der Fähre auf einen Parkplatz bugsieren. Kein Platz wird verschenkt, wo es noch möglich ist, kommt ein PKW dazwischen oder ein kleineres Wohnmobil. Harte Arbeit unter Zeitdruck: Chapeau!

Die Fahrt übers Meer geht um 21:00 Uhr los. Die Ostsee soll ja ein kleines Binnenmeer sein, das merkt man aber nicht während der Fahrt nach Klaipeda. Weit und breit nur Wasser, leider grau oben als auch unten.
Wir haben uns eine Außenkabine gebucht. Sehr bequem, es schaukelt uns sanft durch die Nacht.


12.07.23 Klaipeda -> Kurische Nehrung (17 km)
Die Uhr geht in Litauen eine Stunde vor, das war uns nicht bewusst als wir in den Frühstücksraum kamen. Wir haben Glück, gerade noch etwas zu essen zu bekommen, bevor alles abgeräumt wird. Ankunft pünktlich in Klaipeda um 18:00 Uhr. Wir konnten zügig die Fähre verlassen. Die Fahrräder erhalten Vorfahrt. Dann allerdings überraschten uns die Zollbeamten, indem sie uns zur Seite winkten und erstmal einen Alkoholtest machen ließen. Wir mussten ins Messröhrchen blasen und stellten uns dabei etwas ungeschickt an, machten das halt zum ersten Mal. Gelacht haben die Beamten darüber nicht. Also für alle Radreisenden auf der Fähre: alkoholisiert kommt man nicht in Litauen rein. Wir haben uns zumindest gefragt, was die Beamten wohl mit uns machen würden, wenn das Messinstrument Alkoholkonsum angezeigt hätte?

Wir radeln nun zügig weiter zur kleinen Fähre rüber auf die Kurische Nehrung - Unesco Weltkulturerbe. In Klaipeda gibt es nur einen Campingplatz Richtung Norden, aber weil wir am nächsten Tag weiter nach Nidden auf der Kurischen Nehrung wollen, ist das für uns die falsche Richtung.
Ein neu geteerter breiter Fahrradweg erwartet uns! Wir radeln durch lichte Birken- und Strandkieferwälder, der Boden ist mit Moosen und mit kleinen gelben Blümchen bedeckt. Um einen Blick auf das Meer zu bekommen, müssen wir die Dünen hochsteigen. Da liegt die Ostsee, weiter einsamer Strand, strahlend blauer Himmel.
Es begegnen uns auf dem stillen Radweg noch vereinzelt Menschen, aber es wird immer stiller um uns herum. Auf der Suche nach einem Platz um unser Zelt aufzuschlagen, biegen wir vom Weg ab auf einen sandigen Waldpfad (schieben!), der uns zu einem Picknick-Platz mit Holzbank und -tisch führt. Selbst ein sauberes Plumpsklo mit Toilettenpapier gibt es.

Es bleibt lange hell - bis ca 23:00 Uhr. Unser Zelt hat ein ähnlich helles Lindgrün wie der Wald um uns herum, man kann es eigentlich kaum sehen zwischen den Bäumen. Ein friedlicher Ort.


13. Juli 23 Kurische Nehrung -> Klaipeda (57 km)
Wir verlassen den Platz früh und peinlichst sauber. Wir wollen heute nach Nidden, oder auf litauisch Nida, am Ende der Kurischen Nehrung radeln. Von dort geht es dann weiter nach Kaliningrad in Russland. Bernd fuhr später am Tag bis zur russischen Grenze, mir war nicht danach. Aber die Grenze war geschlossen, keiner kann raus und keiner kann rein.

Leider endet der vorbildliche Radweg nach Nida bald, die Bauarbeiter sind zugange, ihn weiter auszubauen.
Mehr oder weniger ging es ganz gut mit den Rädern. Man muss halt aufpassen, es rumpelt und poltert oder rutscht durch Sand, Geröll und über Wurzeln.
Wir klettern zwischendurch auch auf die höchste Düne von Nordeuropa, die mich stark an Bilder aus der Sahara erinnert. Tiefer Sand macht es herausfordernd darauf zu laufen. Sehr schöner weiter Blick von dort oben über die Sandhügel, auf das Haff und die Ostsee.

Beim Runtergehen kommen und Besucher entgegen, da wurde uns zum ersten Mal klar, wie touristisch die Kurische Nehrung ist. Je näher wir dem Ort Nida kamen, umso mehr Menschen, Räder und Autos begegnen uns.
Der Ort wurde durch Thomas Mann bekannt. Hier verbrachte er mit seiner Familie vor dem 2 . Weltkrieg einige Sommer, damals noch das Memelland genannt. Sein Sommerhaus ist heute ein vielbesuchtes Museum. Ich bin die Treppen zu dem Haus hochgestiegen: sensationell schön ist der Ausblick von da oben auf das Meer und das Memeldelta von Nida. Ein inspirierender Platz, es muss wunderbar gewesen sein, in diesem Haus zu leben und zu schreiben.

Nida ist voll von hübschen Holzhäusern, Restaurants und Cafés. Es gibt viele Touristen, Sommerurlauber vor allem aus Litauen selbst. Die nahe Grenze zu Russland und das russische Militärschiff in der Bucht scheint sie nicht zu stören. Sie lassen sich ihr Nida als Ferienort nicht nehmen.
Wir haben uns auch den Campingplatz von Nida angeschaut: sehr groß und vor allem von Wohnmobilen besetzt.
Wir entscheiden uns nach einem leckeren Mittagessen weder ein Boot ins Memelland zu nehmen, noch zurück nach Klaipeda zu radeln (ca.60 km). Wir wollten mit dem Schiff zurück fahren, aber das war leider schon ausgebucht.
So kommen wir auf die Idee mit dem Bus zurück zur Fähre aufs Festland zu fahren und der nimmt auch tatsächlich unsere Fahrräder mit. Das mussten wir allerdings mit dem Busfahrer aushandeln. Die Leute, die hinter uns standen, sind leider nicht mehr mit den Rädern mitgekommen. Die Busfahrt war für uns müde Radler eine angenehme Lösung.

In Klaipeda finden wir eine quirlige junge Stadt vor, lebendig. Sie kam uns eher wie eine Stadt am Mittelmeer vor als wie eine baltische Stadt an der Ostsee. Hier könnte man auch ein paar Tage verweilen.
Aber wir haben uns erstmal durch die Stadt den Weg gebahnt zum Campingplatz 8 km weg vom Zentrum im Norden. Dass wir einen Weg dorthin gefunden haben, verdanken wir mal wieder Bernds Superkenntnissen im Karten lesen und Wege finden: Campingplatz Pajurio Kompingas - 15,30 € /Nacht. Hier stehen wir nun mit unserem Zelt unter Bäumen und inmitten aller möglichen menschlichen Geräuschquellen. Super, dass ich Ohropax dabei habe!
Generell sollte man wissen: auf keinem Campingplatz gibt es einen Laden/Shop oder ein Lokal. Du kannst keine frischen Brötchen morgens kaufen, auch kein erfrischendes Bier am Abend!
Bei Glück gibt es gute Sanitäranlagen: hier mit lauem Wasserdruck in der Dusche.


14. Juli 23 Klaipeda -> Pape See (63 km)
Palanga ist die nächste Stadt an der Ostsee, die wir durchradeln. Palanga ist total chic! Wir sehen die teuersten Autos, gepflegte Parkanlagen, tolle Villen, wohlhabend wirkende Leute. Selbst die Ausstattung des Supermarktes beeindruckt uns: hier gibt es wirklich Alles! Bis zum Ukraine Krieg war das die Sommerresidenz der reichen St. Petersburger (zusammen mit Sotschi). Ob die nun alle wieder in ihren Sommerhäusern sind, ist zu bezweifeln.

Einige Kilometer weiter nördlich radeln wir durch das genaue Gegenteil. Auch ein Urlaubsort am Meer mit vielen Menschen, es wimmelt auf dem Rummelplatz, auf riesigen Kinderspielplätzen mit Plastikburgen und - Spielgeräten, überall Kirmes grell und laut. Mit den Rädern ist es schwierig durch die Menschenmassen durchzukommen.
Wir sind erleichtert, als der Fahrradweg uns aus der Stadt raus führt und entscheiden uns gegen den Campingplatz, der da mittendrin liegt. Der Fahrradweg wandelt sich zu einem wunderschönen Fahrradweg und schon radeln wir wieder aus Litauen raus! Der litauische Abschnitt des Ostseeküsten Radwegs ist sehr kurz.

Auf der Suche nach einem Zeltplatz für die Nacht tauchen die ersten Erfahrungen mit Schotterstraßen auf. Wir haben normale Trekkingräder, d.h. keine extrabreiten Reifen und drehen nach 2 km wieder um: die vorbei rasenden Autos hüllten uns in eine Staubwolke ein, zwischen den Waschbrettrillen und den groben Schottersteinen schlingern unsere Räder hin und her und wir bangen um Achsenbruch. Die Sandwege sind keineswegs besser, auf denen haben wir mit unserem schweren Gepäck keine Chance voranzukommen. Umkehren! Wir suchen uns eine Route auf asphaltierten Straßen.

Bernd hat wieder einen Platz für uns entdeckt: von WWF, am Pape See gelegen. Klitzeklein, nur eine Zeltwiese mit Plumpsklo, ohne Wasser. Hier wird Wildpferden eine Bleibe erhalten und Wisente werden gezüchtet. Dorthin zu gelangen, verlangte einiges von uns ab. Abseits der Wege durch Wald und Felder, führte letztendlich ein schmaler Sandpfad zu dem Platz. Da ging nur noch schieben. Aber die Strecke war überschaubar, also nicht allzu lang. Wir waren so beglückt von dem Fleckchen Erde, ein wahres Paradies erwartete uns dort. Leider hatten wir keinen Zugang zum See, das Gelände war wegen der Tiere abgesperrt. Dafür gab es einen Holztisch mit Bank und Blick auf die Wildpferde inklusive!


15. Juli 23 Pape See -> Liepaja (68 km)
Wir haben wunderbar geschlafen. Nach dem Frühstück mit Blick auf die Wildpferde sind wir weiter geradelt. Die ersten Kilometer bestanden zwar aus Schotterstraßen, aber zukünftig versuchen wir sie so weit wie möglich zu vermeiden. Das ist nur leider recht schwierig, weil nur die Hauptstraßen asphaltiert sind. Also radeln wir so schnell wie möglich auf einer viel befahrenen Bundesstraße A11 Richtung Liepája. Die Straßen sind schnurgerade, rechts und links Wälder oder Felder. Das Meer sehen wir von der Straße aus nicht. Ein bisschen eintönig! Pause in Nica, Besuch im Touristenoffice mit brauchbarem Kartenmaterial (differenziert Schotter- von Asphaltstraßen) und anschließend Einkehr in einem schönen Café mit Käsekuchen.

Nördlich von Liepaja steuern wir den BB-Campingplatz im Stadtteil Karosta an. Wird als Party - Campingplatz bewertet, aber wir fanden den Platz schön, es gab gerade keine Partys. Riesig großes, mit Kiefern bestandenes Gelände, große Rasenflächen. Der Platz liegt am See mit Wasserskianlage und Sauna am Ufer. Bernd war im See schwimmen. Die Rezeption ist von jungen, sehr freundlichen Leuten besetzt, sprechen bestens Englisch.

Nachdem wir das Zelt aufgebaut haben und das 1. Mal „große“ Wäsche gemacht haben, sind wir nochmal zurück nach Liepaja geradelt. Der Charme dieser Stadt ist recht trübsinnig. Die alten Sowjetgebäude, heruntergekommen, unrenoviert, sind nicht gerade einladend. Dazwischen stehen auch instand gesetzte Häuser, aber leider ohne jeglichen Charme. Ein Blick in die Geschichte! In der Stadt gab es eine Stahlfabrik, die 3. größte im Baltikum und einen Militärhafen der Russen. Aus diesem Grund war die Stadt seit 1945 während 45 Jahre von der Außenwelt abgeriegelt. Eigentlich kaum fassbar, dass so etwas möglich ist. Die Dreifaltigkeitskirche, eine der wenigen Sehenswürdigkeiten, war leider geschlossen. Und eine russisch orthodoxe Kirche mit goldenen Zwiebeltürmchen stand verborgen in einem slumartigen, verwahrlosten Wohnviertel, ein wahrer Widerspruch. Das Schild am verschlosseneren Tor war interessanterweise auf Russisch und auf Deutsch beschriftet. Die Leute vom Campingplatz sagten uns, dass dies ein von Russen bewohnter Stadtteil sei. Der Weg zurück führte durch sehr triste Straßen.
Wir kauften noch in einem Supermarkt „Maxima“ für den nächsten Tag ein. Auch der Besuch in diesem Supermarkt ist ein Erlebnis. Zurück auf dem Campingplatz fühlten wir uns geradezu in einer Oase der Erholung. Um den schönen Sonnenuntergang anzuschauen, setzten wir uns noch ans Meer mit Chips und Bier: machen alle so!


16. Juli 23 Liepája -> Labrags (69 km)
Unser Ärger über die Beschreibung des Radweges als Ostseeküsten Radweg steigt an! Wer hat diesen Radweg gefahren und ihn dann als Radweg Eurovelo 10 ausgewiesen? Der Person würde ich gerne mal persönlich begegnen. Die Beschilderung wurde nach einem Prinzip vorgenommen, das wir nicht durchschauten. Dort wo es nur geradeaus weiter gehen konnte, stand ein Hinweisschild auf geradeaus. Da, wo wir keine Ahnung hatte, wie es weiter geht, stand kein Hinweisschild. Also alles in allem gibt es sehr wenig Beschilderung. Darin waren sich die Radfahrer, denen wir begegnet sind, einig. Der Streckenabschnitt am Meer entlang ist für uns unbefahrbar. Wir weichen also wieder aus auf das kleinere Übel: die Bundesstraße. Dort rasen zwar die Autos und LKW´s an uns mit hoher Geschwindigkeit vorbei, aber die meisten Autofahrer scheren doch aus und schlagen einen Bogen um uns herum. Fahrradstreifen gibt es halt leider nicht.

Es sind 27-30 Grad und Gewitterstimmung. Die Sonne brennt und heute lernen wir die Bremsen kennen. Sie stürzen sich auf uns, als wir dummerweise anhalten, um meinen Sigma-KM-Zähler zu reparieren. Da ist das Kabel gerissen. Aber die Begeisterung der Bremsen ließ uns panikartig wieder losrasen und die Viecher mit uns. Sie blieben einfach kilometerlang um uns herum. Sehr bezogene Tiere! Dennoch haben wir es geschafft, uns mit Insektenabwehr bei voller Fahrt einzuschmieren, um eine Gedenkstätte des Holocaust zu besichtigen. Ca. 7000 Menschen, vor allem Juden, die die Nazis hier am Strand ermordet haben, wurden in From eines jüdischen Leuchters geehrt. Sehr schön!

Es wurde im weiteren Verlauf des Tages sehr windig -> wir kommen erschöpft in dem kleinen ehemaligen Fischerort Pavilosta an. Wir konnten gerade noch unser Mittagessen einnehmen unter bedrohlichem Wolkenhimmel, und dann ging es los mit heftigem Regen. Der hielt dann zwei Stunden an. Wir radelten mit Regenkleidung trotzdem weiter.

Am Nachmittag landen wir auf einem Campingplatz an der Steilküste - in Labrags, Camping Hortus. Ein sehr schöner, großflächiger Platz direkt an der Steilküste. Die Plätze vorne in der ersten Reihe sind schon besetzt, aber es weht ein so heftiger Wind, dass die 2. Reihe auch interessant wird. Wir kochen uns ein Abendessen und essen mit Blick auf die Ostsee. Malerisch! Die Sanitäranlagen sind weit auseinander gelegen und sehr wenige. Nur 2 Duschen und die sind kalt. Für solch einen großen Platz ein bisschen dürftig.


17. Juli 23 Labrags (13 km)
Wir bleiben hier einen weiteren Tag. Diese einsamen Sandstrände unter der Steilküste werden wir - so vermuten wir - so schnell nicht mehr sehen. Einen Tag zum Chillen, einkaufen fahren ins nächste Dorf Jurkalne, bestehend aus 2 Häusern und einem Lädchen. Ich habe endlich mal Zeit im Dumont Reiseführer über die baltischen Staaten zu lesen, den wir immerhin die ganze Zeit mitschleppen. Schwimmen in der Ostsee ist wunderbar bei Sonne! Und im Sand liegen, fast als einziger Mensch am Strand - herrlich.
Wir kochen uns wieder lecker und genießen den großzügigen Raum, den Blick aufs Meer, die Weite. Es gibt kaum noch Leute auf dem Platz. Der Sonnenuntergang ist hier ein besonderes Erlebnis! Ein wunderschöner Campingplatz, wenn man den Sanitäranlagen mal wenig Bedeutung schenkt.


18. Juli 23 Labrags -> Abava Tal (91 km)
Nun brechen wir doch auf, der Wind im Rücken ist auf unserer Seite. Und davon gibt es reichlich. Wir verlassen den Eurovelo 10 hinter Jurkalne und radeln von der Küste nun weg - quer durch Litauen, durch das Kurland, auf Riga zu.
Schööön!!! Sanft hügeliges Agrarland, vereinzelte Höfe versteckt zwischen Baumen. Alle Hofgebäude sind auch Holz. Die Wiesen um die Höfe herum sind in weitem Ausmass gemäht. Das sieht aus, als würden die Höfe von riesengroßen Gärten umgeben sein. Wir haben uns einen Witz daraus gemacht: „woran erkennst du, dass du in Litauen bist? Am Geräusch des Rasenmähers!“
Der Weizen leuchtet in voller Pracht. Die Hofeinfahrten sind häufig mit Blumenarrangements geschmückt. Hier wird die Natur geehrt. Störche sitzen neben dem Traktor, der das Gras wendet, als gehörten sie als Begleitpersonal dazu. Sie sind überall, sitzen am Straßenrand oder auch mal mitten auf der Straße und sind sehr neugierig auf uns. Weite Landschaften, von Menschenhand gestaltet, viel Himmel mit herrlichen Wolkenbildern und viel Wald.

In Edole besuchen wir ein Schloss der Adelsfamilie „von Behr“. Sehr interessant wie deutsche Adelige vor dem 1. Weltkrieg das Kurland beherrscht haben. 1920 mussten sie gehen. Das Land wurde wieder den lettischen Bauern zurück gegeben. Wir sind sehr begeistert von dieser Strecke mitten durch Kurland. Mittags kommen wir in Kuldiga an, einer schön restaurierten Altstadt, mal weniger dominiert vom sowjetischen Baustil als andere Orte. Hier haben wir sehr lecker zu Mittag gegessen.

Wir radeln auf einer wenig befahrenen Bundesstraße P120. Super zu fahren … nach 91 Km erreichen wir mal wieder einen Zeltplatz der Marke „Geheimtipp“, eher eine Parkanlage mit Eintritt und einer gepflegten Wiese am Abava im Urstromtal.
Plumpsklo, Wasserhahn und Spüle sind vorhanden! Es war eine weite Strecke bis hierhin, aber sie ließ sich super gut radeln.
Nun schlafen wir in schönster Natur am Abava mit Wasserfall.


19. Juli 23 Abava Tal -> Jurmala (89 km)
Vom Urstromtal durch Sabile, mit dem nördlichsten Weinberg der Welt. Wir hätten ihn besichtigen können, sind aber mit dem Blick über den Zaun auf die Rebstöcke zufrieden. Leider gibt es keine kleinen Weinflaschen zu kaufen und eine große wollen wir nicht mitschleppen. Ersatzweise tut es auch eine kleine Flasche Cidre, der hier produziert wird. Sehr lecker!
Der Ort war in Bewegung, überall wurde Gras gemäht (!), es wurden Bretter an Zäune genagelt, gekehrt, Blumenschmuck hergerichtet - Sabile bereitet sich auf das Weinfest am kommenden Wochenende vor. Noch bestaunenswert war eine Dorfgemeinschaft aus handgenähten lebensgroßen Stoffpuppen, die mit allem möglichen Haushaltsgerät auf einer Wiese standen.

Wir radeln weiter durch die sanfte Hügellandschaft nach Kandava: bestaunen eine alte Steinbrücke, den Supermarkt, der gerade von einer Truppe 10-12jähriger Jungens gestürmt wird und die berühmten Schwefelquellen, die wir trotz Bemühens nicht finden konnten. Wie immer sehen wir viele renovierte Holzhäuser und viele unrenovierte. Der graue, eher abschreckende Charme der Sowjetarchitektur ist in jedem Ort zu finden.

Hügel auf, Hügel ab - auf der einen Seite (für mich) sehr anstrengend, auf der anderen Seite beglückend. Die Natur ist uns so nah, genau wie die Störche. Teiche mit Seerosen, auf den Hügeln die leuchtenden Bauernhöfe. Die schönsten Blumengärten gibt es in Lettland, die Menschen hier haben den grünen Daumen! Wir suchen wieder nach einem Campingplatz - schwierig! Am Meer gefallen uns zwei Plätze gar nicht, also radeln wir weiter auf der Suche nach einem privaten Garten, der in Google genannt wird. Wir finden ihn in einem Kiefernwald direkt am Ostseestrand. Unbeschreiblich!

Wie kann ich das beschreiben? Ein Garten voller Pflanzen, verwunschen, uralt, ein Haus mittendrin, heruntergekommen und liebevollst gepflegt.Der absolute Höhepunkt dieses Privatgartens ist das Toilettenhäuschen: etwas abseits gelegen, mit wackeligen Steinen und obendrauf ebensolchen Brettern wird die Zugangsstufe gelegt. Innen ist das Häuschen mit goldfarbener glänzender Folie beklebt, beim Betreten geht ein Licht an und taucht das Plumpsklo in ein goldenes Licht. Das ist ein Erlebnis! Eine alte Frau, die kein Wort einer Sprache spricht, mit der wir uns verständigen können, kommt aus dem Haus. Sie ist Lettin und bietet für 10.- € einen Zeltplatz in ihrem Garten an. Bemerkenswert ist auch die Freidusche, durch 2 Tücher als Vorhänge ein bisschen abgeschirmt von Blicken. Auch hier ein wackeliger Boden aus Steinen gelegt mit wackeligen Holzbrettern obendrauf. Und dann kommt die Überraschung: das Wasser ist warm! Das Haus und ein paar Schuppen wirken sehr verwohnt und arm, aber der Garten lebt. Es sind noch 3 andere Zelte da. Solch einen Platz findet man nicht so einfach.
Ort: gelegen an der Küstenstraße zwischen Kap Kola -> Jurmala, nahe Jurmala.


20. und 21. Juli 23 Jurmala -> Riga (56 km + 20 km in Riga)
Wir fahren Richtung Riga am Meer entlang. Durch den schönen Badeort Jurmala, der für seine außergewöhnlichen Villen bekannt ist. Da staunen und bewundern wir auch die wunderschönen alten Jugendstilvillen aus Holz und Villen moderner Architektur. Prachtvoll! Eine Lettin erzählt uns später, dass dies vor allem ein von Russen bewohnter Ort ist. Viele Russen dürfen in Lettland nicht mehr einreisen seit dem Ukrainekrieg. Deswegen stehen vieler dieser Häuser leer. Und diejenigen, die in Jurmala wohnen, würden sich nicht mehr aus ihren Häusern raus wagen.

Schnurgerade Straße nach Riga mit Fahrradweg, erwähnenswert sind die mit Blumenarrangements geschmückten Laternenpfähle - kilometerlang.

In Riga: wir fahren als erstes auf den Campingplatz auf der Insel Kapsala, Riverside Campingplatz, 41.- € für 2 Nächte,
schöner Zeltplatz am Fluss, Bernd geht gleich schwimmen. Sehr saubere Sanitäranlagen, die besten bisher!

Von unserem Zeltplatz aus sind es 3 km zu radeln bis in die Innenstadt. Am ersten Abend schauen wir uns die Hauptattraktionen von Riga an. Eine schöne Stadt und viele Touristen. Auf der Suche nach einem Restaurant verlassen wir das Zentrum und finden etwas außerhalb ein kleines, sehr hübsches italienisches Restaurant, dessen Besitzer Lette ist. Das Ambiente was sehr schön und das Essen wirklich gut. Restaurant Martinelli, Baznicas 37, Riga, Tel. +371 274 888 66

Als wir zurück kamen auf unseren Campingplatz fanden wir fast unser Zelt nicht mehr. Der Platz war total voll mit Zelten und auf dem Zeltplatz standen auch viele Autos rum. Am nächsten Morgen kamen wir mit einem Ehepaar aus Jülich ins Gespräch. Der Mann hat einen Internetblog über Radfahren im Baltikum und ein Buch darüber veröffentlicht. Er gab uns ein paar Tipps für die weitere Reise.

Am 2. Tag in Riga nahmen wir uns Zeit, die Jugendstilhäuser anzusehen: einfach toll. Wir trafen auch eine frühere Kollegin von Bernd auf einen Kaffee. Ihr Büro lag in einem solchen schönen Jugendstilhaus und wir konnten sehen, dass dies innen genauso schön war wie von außen. Von der Kollegin erhielten wir den Tipp, anstatt in die offizielle Markthalle von Riga, in eine kleinere, unbekanntere Markthalle zu fahren, die 6 km außerhalb des Zentrums liegt. Dieser Tipp war toll! Eine alte Markthalle, gerade neu renoviert und eröffnet. Innen ausgewählte Marktstände, alles aus eigener Produktion, Bier, Essen etc. - alles beste Qualität. Draußen standen Bierbänke und es wurde auf einer Bühne ein Konzert vorbereitet. Die Markthalle ist auch ein Kulturzentrum. Wir holten uns ein köstliches lettisches Bier und setzten uns raus in die Sonne. Um uns rum nur Einheimische, ein Oldtimer - Club präsentierte seine tollen Oldtimer Ami-Schlitten und zu uns setzte sich ein Paar, mit denen wir ins Gespräch kamen. Ich fand es sehr interessant, von der Frau über ihr Leben in Riga und über ihre Haltung zum Ukraine Krieg und zu Russland zu erfahren. Wir verbrachten dort einen sehr schönen Abend.


22. Juli 23 Riga -> Lemme Telkimi Sala RMK (82 km)
Die nächste Etappe bereitet uns große Sorgen, denn zur Hauptstrecke Riga - Talinn gibt es für uns kaum eine Alternative. Der Eurovelo 10 führt im Zickzack über Schotterstraßen und der Umweg über Limbazi erschien uns zu lang. Nach langer Überlegung nehmen wir in Riga den Zug nach Skulte Endstation (1h 15 Min.). Dadurch sparen wir uns 60 Km auf der Schnellstraße Richtung Grenze zu Estland, den sogenannten Baltik-Highway. Diese Strecke ist berüchtigt wegen der schnell fahrenden Autos und LKW´s, die wohl nicht so sehr Rücksicht auf die Radfahrer nehmen. Die Geschichten, die wir darüber gehört haben, waren gruselig.

Von Skulte aus radelten wir also auf dieser Schnellstraße, die einer Autobahn ähnlich ist, los. Zuerst gibt es für mehrere Kilometer einen breiten Randstreifen rechts neben dem weißen Strich; wir betrachten diesen als Fahrradstreifen und haben schon frohlockt. Wir kamen gut voran. Nur nach 10 km war leider dieser neu ausgebaute Teil der Straße zu Ende. Dann verengte sich der Randstreifen wieder auf die üblichen 40-50 cm Breite.

Doch wir erfahren mit wenigen Ausnahmen rücksichtsvolle Autofahrer. Trotzdem kosten uns der Lärm und die erhöhte Konzentration ganz schön viel Energie. Bernd fährt hinter mir und nimmt sich mutig einen Abstand, von links zum Randstreifen, von mindestens einem Meter, um uns die Autos und LKW´s vom Leib zu halten.

Auf der Gegenrichtung des Highways saß plötzlich Münchhausen auf einer Kanonenkugel. Unweit davon befand sich das zugehörige Wirtshaus, in dem Münchhausen seine Lügengeschichten erzählte. Heute ein Museum! Wir sind wenigstens mal zur Kanonenkugel und durch das Münchhausen Dorf durchgefahren.

Kurz vor der Grenze zu Estland kehren wir noch in ein Gartenrestaurant ein, wir benötigen dringend etwas Kühles zu trinken und etwas Entspannung. Hinter dem Lokal war plötzlich Lettland zu Ende, ich war ganz überrascht.

In Estland gibt es viele Campgrounds von MRK, der nationalen Forstbehörde, die auch in Naturschutzgebieten kostenlos Zeltplätze, oder zu sehr kleinem Geld, anbietet. Wir fahren zu einem dieser Campgrounds, idyllisch am Meer gelegen. Er kostet nichts, allerdings bezahlt man für die Dusche (3.- €) und WC (0,50 €) in einem Sanitärgebäude mit Kiosk. Total okay.
Der Zeltplatz ist sehr schön, wir sehen einen herrlichen Sonnenuntergang.


23. Juli 23 Lemme Telkimi Sala RMK -> Pärnu (55 km)
Der Platz gefiel uns auch, um länger zu bleiben. In der Nacht regnete es jedoch sehr heftig, unser Zeltboden ist nass und das Fussende meines Schlafsacks. Wir entscheiden uns für Weiterfahren. Beim Verlassen des Platzes kommen wir ins Gespräch mit einem jungen Mann, der auch gerade abreist. Als er fragt, ob er ein Stück weit mit uns radeln darf, sagen wir gerne ja.
Die erste gemeinsame Etappe geht wieder auf den Riga-Tallinn-Highway (20 km), vor der wir alle Drei Respekt haben. Für Kris ist die Dreiergruppe wohltuend, denn alleine auf dieser Strecke hatte er das Gefühl, nicht gesehen zu werden und fühlte sich regelrecht bedroht von den nah vorbei rasenden LKW´s und Autos. Wir schaffen in recht kurzer Zeit die Strecke und kommen in Pärnu an. Kris und Bernd haben unabhängig voneinander den selben Zeltplatz in Pärnu reserviert: wir radeln die nächsten 3 Tage zusammen weiter und haben viel Spaß zusammen.

Unser Zeltplatz in Pärnu ist wieder ein Privatgarten einer Frau (das hatten wir ja schon einmal vor Riga). Dieser Garten - Camping Esplanaade - ist kleiner, einige Obstbäume und vielleicht Platz für 5/6 Zelte. Gut ausgestattet mit 2 Duschen und WC´s, sehr sauber. Es gibt auch eine kleine Küche. Ein schöner idyllischer Zeltplatz., 20 € für 2 Pers. Es sind schon ein paar andere Radfahrer mit Zelt da, vor allem Deutsche.

Mit Kris machen wir uns in den Ort auf, um ein Restaurant zu suchen. Kris will typisch estnisch essen. Unsere Suche führt uns gefühlt in jedes Restaurant in Pärnu. Es gibt französische, italienische, österreichische, georgische … Küche, nur keine estnische. Letztlich landen wir in einem sehr typisch estnisch aussehenden Gartenrestaurant, die bieten Fish & Chips an. Das war’s dann für Kris - wir hatten während der Suche allerdings viel Spaß!


24. Juli 23 Pärnu -> Kuli (71 km)
Die Sonne scheint, wir brechen auf zu Dritt. Wir radeln nach Nordwesten, erst einmal auf einer großen befahrenen Straße. Bernd und ich wollen auf die Insel Saaremaa und Kris will nach Tallinn. Es ist kurzweilig mit ihm zu radeln. Kris erzählt von seinen Abenteuern auf diversen Radtouren, die er schon gemacht hat. Wir lachen viel. Abseits der Straße finden wir ein eigenartiges Restaurant/Café, vollgestopft mit Krimskrams und selbst gestrickten Kleidungsstücken (zum Verkaufen), geführt von 3 Frauen. Endlich kriegt Kris sein estnisches Essen. Wir beginnen mit Kaffee und Kuchen, gefolgt von Suppe und fallen letztendlich über die Kartoffeln mit Soße her.

Wir fahren weiter auf ruhiger Route und landen am Meer, wieder auf einem kostenfreien, wunderschönen und einsamen RMK Platz. Blick aufs Meer. Wie immer ist der Platz gut ausgestattet mit Plumpsklos und Toilettenpapier und mit Holztisch und -bänken mit Überdach. Nur Wasser gibt es keines. Dieses Problem löst Bernd, indem er ein paar KM weiter in einem Privathaus nach Wasser fragt. Ein freundlicher Este erzählt, dass seine Tochter mit dem Rad gerade nach Istanbul unterwegs ist.
Wir kochen gemeinsam und verbringen einen schönen Abend dort. Bernd geht natürlich wieder in der kühlen Ostsee schwimmen.
Allerdings: hier habe ich direkten Kontakt mit dein einheimischen Stechmücken. Nur mich mögen sie! Ich beginne zu zählen, 20 Stiche sind es bestimmt. Doch die nächsten Tage werden sie sich erst richtig zeigen: dick entzündet, häßlich, unglaublich! Nur Bernd hat keine.

25. Juli 23 Kuli -> Muhu (51 km)
Wir stehen zwar früh auf und bauen unsere Zelte ab, aber um 8:00 Uhr fängt es zu regnen an. Bei dem Wetter zieht es uns nicht aufs Rad, also frühstücken wir erstmal etwas ausgiebiger. Nach 3 Stunden Warten entscheiden sich Bernd und ich dann doch zum Weiterfahren. Kris kämpft eine Weile mit sich und entscheidet sich schweren Herzens, an diesem Platz noch eine Nacht zu bleiben, um von dort am nächsten Tag nach Tallinn zu radeln. Er muss pünktlich dort sein, um seinen Flixbus zu kriegen.
Rein in die Regenklamotten. Abschied von unserem sympathischen Mitradler fällt schwer. Dafür lichtet sich der Regen und lässt uns vom Fahrtwind trocknen, nur um dann wieder einzusetzen. Das geht den ganzen Tag so, ist aber unser 1. Regentag!

Wir erreichen die Fähre nach Saaremaa und Muhu - als Vorinsel - ist unser erstes Ziel. Bullerbü empfängt uns! Hier ist die Welt noch scheinbar in Ordnung: weite Landschaften, kleine und große bunte Holzhäuser, Stille und Schönheit. Und die Aussprache der Ortsnamen mit mehreren Vokalen hintereinander werden für uns zum running-gag. Wir fahren auf ein prachtvolles Anwesen - das Gestüt Tihuse. Ein Tipp, den wir aus Deutschland von einer Reiterin mitbringen. Mehrere Häuser sind offensichtlich mit Reiterinnen und Reitern ausgebucht. Wir dürfen unser Zelt auf einer Wiese aufschlagen und die ungewohnt schönen und sauberen Sanitäranlagen mit benutzen. Die vertraute Sitzgruppe aus Holz mit Dach steht auch da, nur mit dem Unterschied, dass diese Holzbank eine „Hollywood-Schaukel“ ist. Das delikate Restaurant ist leider ausgebucht, also kochen wir unser Abendessen vor den Polo übenden Reitern und gehen früh zu Bett.

26. Juli 23 Muhu -> Koiguste (61 km)
Wir erwachen im nassen Zelt, die Feuchtigkeit auf der Wiese ist enorm und es braucht eine Weile bis das Zelt in der Morgensonne wenigstens ein wenig angetrocknet ist. Derweil schauen wir dem Schauspiel zu, wie unzählige Menschen, in erster Linie junge Frauen, ihre Pferde für einen Ausritt fertig machen, sich hintereinander aufreihen und dann in Polonaise den Hof verlassen und in die Landschaft reiten. Zwei Kutschen sind auch dabei. Für Reiter ist dieser Hof bestimmt ein paradiesischer Ort.
Wir setzen uns auch auf unsere Stahlrösser und fahren Richtung Saaremaa (aa…). Wir radeln entlang längst vergessener blühender Wiesen, mit Wiesenblumen in allen Farben ausgestattet. Eine unbeschreibliche Pracht! Weite, Stille … nur ab und zu stört ein Auto diesen Frieden. Wir wählen immer, wenn möglich, Seitenstraßen. Zum ersten Mal erleben wir Gegenwind!
Wir fühlen uns beglückt, in solch einer schönen, wilden und ruhigen Landschaft radeln zu können.
Unterwegs an der Nordküste besichtigen wir das „spektakuläre“ Kliff - Üügu pank.

Zu Mittag kommen wir in einem Surfer-Platz an, Orissaare, das könnte auch in Südfrankreich Atlantik sein. Im dazugehörigen hipen Restaurant essen wir das erste Mal typisch estnisch und super lecker: Vish & Ships (V= vegetarischer Fisch) und georgiisch: gedämpfte Nudeltaschen gefüllt mit Waldpilzen und als Vorspeise gibt es das dunkle Brot von Saaremaa, dieses Mal eine süße Variante mit eingelegten Makrelenfilets: Toll!!!

Übrigens Bäckerei: es gibt so gut wie keine Bäckereien mehr in den baltischen Ländern, nur noch industrielle Bäckereien und das Brot kauft man dann abgepackt in Plastikfolien im Supermarkt. Wenn es dann doch einmal irgendwo frisches Brot zu kaufen gibt, sollte man sich das nicht entgehen lassen. Das Brot ist sehr lecker.

Wir radeln bis ans Ende einer Straße auf einer Landzunge - dort liegt der Yachthafen Koiguste mit dazugehörigem Zeltplatz. Viele schöne Segelyachten. Wenn wir Punkte vergeben würden, die Sanitäranlagen inklusive Sauna und Waschmaschinenraum bekämen die Höchstzahl. Alles ist neu, schön und super sauber. Unser Zelt steht direkt am Ufer. Einfach ein toller Platz und den kennen auch andere Radler, es sind mehrere Urlauber da. Es gibt auch genügend Platz für Wohnmobile. Wir genießen den Platz mit der 1a Aussicht und machen uns einen leckeren Salat statt in das einladende Restaurant essen zu gehen.
Nicht vergessen zu erwähnen: es gibt Mücken, die gehen natürlich wieder nur auf mich??? Und der Platz kostet 10.- €/Person.


27. Juli 23 Koiguste -> Kurassare (58 km)
Die Insel Saaremaa - die Landschaft unterscheidet sich nicht sehr vom Festland. Es geht immer gerade aus. Bernd meint, ich solle ihn wecken, wenn eine Kurve kommt. Wälder, viele Birken, bunte Blumenwiesen, Felder, versteckte Häuser, meistens aus Holz, geschmückte Hofeinfahrten, üppige Gärten und Himmel mit intensiven Wolkenformationen. Es ist eine Entscheidung zu fällen zwischen „eintönig“ oder „die Reizarmut/Einfachheit und Stille lassen uns auch innerlich einfach still werden“. Bei uns geschieht letzteres.

Wir fahren zur Hauptstadt von Saaremaa: Kurassare. Hier ist Sommertourismus, eine hübsche Altstadt, viele Restaurants & Cafés und eine Burg. Wir beginnen mit der Besichtigung der Burg, die eine Ausstellung über die politische Geschichte Saaremaas bereit hält. Sehr informativ und interessant. Auf dem Marktplatz gruppieren sich gerade in Trachtenkleidung Frauen und Männer zum Tanz. Zu Ehren einer alten Dame, die vielleicht etwas mit diesen Tänzen zu tun hat (?), tanzen sie traditionelle Kreis-Tänze. Sehr stimmungsvoll in der Sonne zu sitzen und ihnen zuzuschauen.

Bernd organisiert derweil schon mal einen Zeltplatz: wieder kehren wir in einen privaten Garten ein. Eine große Wiese bietet auch Stellplätze für motorisierte Urlauber. Im hinteren kleineneren Teil des Gartens stehen die Zelte. Komfortabel mit gut ausgestatteter Außenküche und überdachtem Essplatz und einem eigenen Sanitärbereich mit 2 Duschen/WC: Piibelehe Camping 12.- €.

Als wir vom Abendessen - mit dem leckeren Bier aus der Saaremaa-Brauerei - zum Zeltplatz kommen, hat Bernd das Zelt bereits aufgebaut. Mir gefällt es in dem dichten Blumengrün des Gartens sehr gut. Mal wieder haben wir einen besonders schönen Platz gefunden. Sooo schööön! Außer unserem Zelt steht da noch das Zelt eines deutsches Ehepaars, auch Radwanderer, ähnlich bepackt wie wir, aber elektromotorisiert.


28. Juli 23 Kurassare -> Triigi RMK (58 km)
Trocken kommen wir los, ca. 1 Std. lang ist die Sonne noch da, dann wird es am Himmel bedrohlich dunkel. Wir erleben einige heftige Regengüsse mit Gewitter. Jetzt könnten wir sie gebrauchen, die schönen Bushaltestelle-Wartehäuschen, aber ausgerechnet jetzt kommen wir an keinem vorbei. Über die bunt bemalten, manche mit Gardinen und oder auch Blumen geschmückt und manche innen mit Büchern bestückte Wartehäuschen, habe ich noch gar nichts erzählt. Die sind einfach etwas Besonderes und haben uns immer wieder am Wegesrand erfreut. Wo sonst gibt es solche Haltestellen?

Vor dem ersten heftigen Regen finden wir Zuflucht unter einem Dach am Geopark des beeindruckenden Kaali-Meteoriten-Krater.

Dem schlimmsten Regenguss weichen wir aus, indem wir beherzt auf ein privates Grundstück fahren, wo eine überdachte Sommerlaube steht, unter der wir Schutz suchen. Wir gehen auch zu den beiden Häusern hin und rufen, ob da jemand ist, den wir um Erlaubnis fragen können, den Guss hier abzuwarten. Keiner antwortet. Es beginnt zu hageln! Wir sind so froh, dass wir geschützt stehen. Plötzlich taucht aus einem der Häuser ein älterer Mann auf. Er geht auf mich zu und spricht ununterbrochen, leider verstehen wir nichts davon. Er wirkt freundlich, aber auch ein bisschen verwirrt. Immerhin vertreibt er uns nicht.
Als der Regen etwas nachlässt, radeln wir weiter. Aber der nächste Schauer kommt dann auch. Wir nehmen Zuflucht in einem Restaurant in Leisi (leckere Fischsuppe).

RMK - Zeltplatz Triigi, der nächste, direkt am Meer gelegen, wird unser Nachtplatz. Dieses Mal haben wir ein besonderes Glück. Nicht nur, dass der Platz auf dem unser Zelt steht, malerisch schön ist, direkt mit Blick aufs Meer und in die Abendsonne, sondern auch, weil um 21:00 Uhr eine Gruppe junger Schauspieler aus Tartu ein Theaterstück hier aufführt.
Im Abendlicht sitzen sie auf Baumstümpfen, im Halbkreis um eine Feuerschale herum. Ein Mann ist für die Musikuntermalung zuständig und produziert auf allen möglichen Klangkörpern Töne. Der Rest der Truppe (7) erzählen gestenreich und ausdrucksstark Geschichten - natürlich auf estnisch. Wir verstehen zwar kein Wort, hängen aber dennoch an deren Lippen und ihrem Körperausdruck, der uns vermuten lässt, dass sie Mythen und Märchen erzählen.
Ein wirklich beeindruckendes und unvergessliches Erlebnis.


29.Juli 223 Triigi -> Save RMK (55 km)
Wir fahren auf die Insel Hiiumaa (wieder so ein Zungenbrecher, der uns zum Lachen bringt). Das ist die kleinere Schwester von Saaremaa. Wieder eine Fahrt mit der ersten Fähre (8:30) auf eine Insel „à la Bullerbü“: sehr schön, vor allem die Häuser, immer aus Holz inmitten sehr gepflegter, wunderschöner Gärten. Der starke Wind bläst dieses Mal für uns aus der falschen Richtung und bringt uns zur Planänderung der Route. Wir kürzen den Eurovelo 10 ab und radeln im Süden quer über die Insel nach Osten, über Käina nach Sarve. Bewundern die hübschen Häuser und natürlich die perfekt gemähten Rasenflächen.

Wir kommen wieder zu einem RMK-Platz an einem Kalkkap, der Wald reicht bis ans Meer. Zuerst sind wir ganz alleine und suchen uns einen geschützten Platz zwischen Bäumen, mit eigenem Zugang zum Meer, das 5 Meter vor unserem Zelt liegt. Auch einen Tisch mit Bänken haben wir. Hier gehe ich auch ins Meer, nur leider gibt es Quallenalarm und so bin ich genauso schnell wieder draußen. Unser Zeltplatz ist wieder der schönste und zum soundsovielten Male spricht Bernd den Satz aus:
„so einen schönen Platz werden wir nie wieder finden“. Wir sind uns einig, dass die Zeltplätze das Tollste an dieser Radtour sind. Bernd kocht, wir speisen königlich mit einer Flasche Primitivo. Das Leben ist schön! Am Abend stellt noch eine Estin ihr Zelt am Meer auf und wir unterhalten uns über das Leben in Estland - sie spricht wie fast alle jungen Esten perfekt Englisch.


30. Juli 23 Sarve -> Keibu (81 km)
Wir stehen sehr früh auf, um die erste Fähre (9:30) nach Haapsalu auf dem Festland zu nehmen und frühstücken auf der Fähre. Trotz der schlechten Wettervorhersage haben wir keinen Regen: einfach Glück! Wir fahren wieder übers Meer - herrlicher Wolkenhimmel!

Haapsalu gefällt uns auch. Der pompöse Bahnhof im Jugendstil, der alleine für einen (!) Besuch des Zaren Peter der Große gebaut wurde. Mit dem längsten Bahnsteig Estlands (oder der Welt). Heute ist hier ein Museum. Im Ort die alten Villen, die bezeugen, dass dies mal ein Heil- und Kurbad gewesen ist. Haapsalu hat einmal goldene Zeiten gekannt. Jetzt strahlen die schön renovierten Holzhäuser Frieden und die Kurparks Gelassenheit und Frieden aus. Beim Durchradeln entdeckt Bernd eine Bäckerei mit Brezeln. Die kleinen Teilchen, die er dort kauft, sind sehr gut!

Nur um es noch einmal zu erwähnen: die Streckenführung des Eurovelo 10 ist eher mies. Der Anfang liegt auf der Schnellstraße, wer radelt da schon gerne? Erst nach vielem Meckern ändert sich der Weg zum Guten hin. Wir bedauerten, dass wir nur einen Tag auf dem idyllischen Inselchen Hiiumaa verbracht haben. Die Stille dort hat uns sehr gut gefallen. Für den Abend suchen wir wie immer einen Supermarkt zum Einkaufen. Wir wechseln uns ab: eine Person bleibt immer bei den Rädern und die andere darf einkaufen. Wir kehren wieder auf einem RMK Platz am Meer ein - Keibu Beach. Sehr einsam und die Platzsuche erwies sich als schwierig, weil Milliarden von Ameisen den Boden als ihre Heimat in Anspruch genommen haben.


31. Juli 23 Keibu -> Vääna-Joesuu (71 km)
Wir radeln allmählich auf Talinn zu, entlang der Nordküste Estlands. Nach einem schönen Radtag findet Bernd wieder - nach einigem Suchen - einen paradiesischen Platz, so einen, wie wir wahrscheinlich nie wieder finden werden …! (Es gibt Dixie WC´s und sogar fließendes Wasser).

Auf dem Weg dorthin fahren wir an einem schönen Zisterzienser Kloster vorbei und an einem gut erhaltenen Schloss, ansonsten nur Natur. „ Die Seele und das Augen werden nicht gestört in dieser Landschaft“. Wir sind ganz alleine an diesem Strand, weite Sandbänke vor uns. Es fühlt sich an wie in der Südsee. In angenehmer Entfernung gibt es eine offene Beach-Bar, die erste auf unserer Reise! Ich lasse mich dort in einen Liegestuhl fallen, wir bestellen Pommes und ein Bier, im Hintergrund Strandmusik: wir sind glücklich! Sonnenuntergang wieder sooo schööön!


01. August 23 Vääna-Joesuu -> Tallinn (26 KM)
Es regnet: wir packen das Zelt nass ein und machen uns in Regenkleidung auf den Weg nach Tallinn. Gottseidank gibt es einen breiten Fahrradstreifen, wir fahren durch mehrere Vororte mit riesigen Einkaufscentern hindurch. Tallinn zeigt im Umland seine ökonomisch aufstrebende Seite: Industrie, Hochhäuser … In der Stadt stehen auch noch alte Holzhäuser, schön renoviert. Wir haben eine Hotelempfehlung und steigen ab mitten in der Altstadt im Hotel St. Olav. Ein großes verwinkeltes Haus, möbliert mit alten Möbeln, dicken Teppichen, sehr speziell, vor allem unser Zimmer. Das ist aus Naturstein innen, hat nur eine Türe, kein Fenster und liegt in einer Nische des Hauses versteckt. Uns gefällt es, auch der Frühstücksraum mit riesigen Kronleuchtern am nächsten Morgen und üppigem Frühstück.
Ganz toll: wir können unsere Räder im Innenhof abstellen.

Tallinn ist eine schöne mittelalterliche Stadt, der Stadtkern ist klein, fast komplett renoviert und zusätzlich wird überall gebaut. Wir treffen uns zum Mittagessen mit einem Ex-Kollegen von Bernd in einem guten vegetarischen Restaurant. Wir fragen ihn zum Ukraine Krieg und wie dieser auf die Bevölkerung wirkt. Er sei ständig und überall Thema. Genauso wie in Lettland bin ich überrascht, dass ich bei meinem Gegenüber keine Angst wahrnehme, sondern reine Entschlossenheit, nie mehr russische Besatzung zu dulden.

Bei der Stadtbesichtigung geraten wir in die Messe in der orthodoxen Kirche Alexande -Newski-Kathedrale, und nehmen eine Weile diese fremden Zeremonien auf. Jetzt fühlen wir uns wirklich in einer anderen Welt. Am Nachmittag radeln wir durch die Stadt trotz Regen, auch in Bezirke, in denen nicht so viele Touristen unterwegs sind. Die Altstadt ist überfüllt mit Passagieren der Kreuzfahrtschiffe, die im Hafen liegen. Wir besuchen ein alternatives Viertel hinterm Bahnhof und finden ein indisches Restaurant, in dem wir als einzige Gäste lecker zu Abend essen.


02. August 23 Tallinn (18 km)
Tallinn ist eine schöne Stadt, aber mehr als 2 Tage wollen wir nicht dort sein.
Am Mittag kehren wir in das wohl bekannteste Restaurant Tallinns ein, dem Kompressor, und reihen uns in die Warteschlange ein, bis man uns nach ca. 30 Min einen Tisch zuweist. Hier ist die Hölle los. Es gibt nur Pfannkuchen: saure und süße! Wir bestellen von jeder Richtung einen und teilen uns den: sehr lecker und sehr sättigend!

Wir fahren am Meer entlang aus der Stadt raus zum Kadriorg - Park, und bewundern dort das Sommerschloss Katharinental von Peter dem Großen, inmitten eines schönen Gartens.Auf unserer Weiterfahrt entdecken wir mehr zufällig ein Denkmal aus schwarzem Mamor für die Opfer der Sowjetbesatzung: Maarjamäe Memorial. Wir nehmen uns die Zeit, dieses beeindruckende Denkmal anzusehen und die Informationen dazu zu lesen. Es hat uns sehr berührt und uns die estnische Geschichte mit jahrhundertelangen Besatzungen deutlich gemacht.

Dann will ich noch in die Weinbar gegenüber unserem Hotel. Hier wollten wir mit einem Glas Wein unsere Tour durch das Baltikum beenden. Leider ist die Bar geschlossen, aber die Kellnerin des dazugehörenden Restaurants ruft den Chef und er öffnet die Weinbar für uns. Es wird ein sehr unterhaltsamer Abend! Der Besitzer, ein Peruaner aus Italien, der in Moskau studiert hat und 5 Sprachen spricht, hatte viel aus seinem bewegten Leben zu erzählen. Und er konnte uns vieles über Weine erzählen. Es kamen noch 2 italienische Männer, Freunde des Wirtes mit dazu. Wir tranken 3 unterschiedliche köstliche Rotweine, palaverten viel und stellten am Ende unseren letzten Abends im Baltikum fest: wir haben immer Glück - mit den Zeltplätzen, den Restaurants, den Menschen, die wir antreffen …!

03. August 23 Tallinn -> Helsinki Eckerö-Fähre (10 km)
Wir fahren auf die riesige Fähre nach Helsinki / Finnland (12:00h)mit sehr vielen Menschen an Bord! Es gibt mehrere Ebenen, Musikveranstaltungen, Restaurants - überall ist es voll. Am vollsten sind die Duty Free Shops. Sowie Bernd es kurz vor unserer Abreise im Fernsehen gesehen hat, kommen einige Leute mit der Sackkarre aus Finnland und kaufen auf dieser Fähre kartonweise Alkohol. Es scheint sich zu rentieren. Pünktlich um 14:15 Uhr kommen wir in Helsinki an.

Wir radeln zum EuroHostel (66.- €). Sauberes Doppelzimmer, super ausgestattete Küche, neue Bäder und Sauna. Fahrradstellplatz hinterm Haus. Alles in sehr gepflegtem Zustand. Bernd hat mal wieder eine tolle Unterkunft gefunden, wenn es auch kein Zeltplatz ist. Erstmal kochen wir uns etwas - aus Gründen des Gewichtabbaus. Bernd trägt seit Tagen ein 1kg Glas Auberginen mit sich. Anschließend spazieren wir mit Schirm, weil es regnet, in die Stadt. Wir sehen die Orthodoxe Kirche, die Kathedrale, die Innenstadt mit großen Häusern des Klassizismus und des Jugendstils, es gefällt uns gut. Auf einer Bühne mitten im Regen spielt eine Jazzband mit Sängerin sehr guten Jazz. Trotz des ungemütlichen Wetters, Regen und Wind, stehen viele Menschen still vor der Bühne und hören zu. Der Regen wird stärker, wir rennen zum Youthhostel zurück. Das ist ein guter trockener Platz.


04. August 23 Helsinki -> Kela (62 km)
Aufbruch im Hostel, wir reisen weiter unter grauem Himmel. Erstmal zu der Sehenswürdigkeit von Helsinki, wenn nicht sogar Finnlands: die Felsenkirche, Tempellauktion Kirkhu. Eigentlich ist die Kirche ein Kunstwerk, in den Siebzigerjahren von Künstlern erbaut. Die Kirche liegt mitten in einem Wohnviertel, in den Fels hineingeschlagen. Es ist beeindruckend, darin zu stehen und die Energie dieses Felsenraumes aufzunehmen. Sie ist wirklich sehenswert! 5.- € Eintritt.

Wir finden mit Stadtkarte mühsam die Radstrecke am Meer entlang. Jetzt sehen wir endlich mal während des Radeln das Wasser, es ist eine wunderschöne Strecke, obwohl wir immer wieder mal Regen haben. Die Mittagspause verbringen wir in einer schönen Bucht unterm Regenschirm. Auch romantisch! Am Nachmittag beginnt die Suche nach einem „wilden Campingplatz“. Das ist zwar erlaubt in Finnland, aber wo auch immer wir hinschauen, hängt da entweder ein Schild „privat“ oder ist das Gras bzw. Geäst so hoch, dass wir keine Lust haben darein zu gehen. Es gestaltet sich schwierig. Wir müssen halt weiter radeln. Bernd entdeckt ihn wieder - den ultimativen Rastplatz. Auf einer Kuppe liegt ein ehemaliger Bauernhof, scheint still gelegt zu sein. An der Seite hängt ein Schild „Stallcafé - geschlossen“, nur Sa und So geöffnet. Eine schöne Wiese neben dem Haus ist zur Straßen hin durch Büsche sichtgeschützt, ideal für uns. Erstmal setzen wir uns auf die Bank & Tisch vor dem Café und kochen unser Abendessen. Ab und zu kommt mal ein Auto auf der Schotterstraße vorbei gefahren, aber ob die uns überhaupt sehen können, bezweifeln wir. Das Beste: Bernd entdeckt eine Toilette und fließendes Wasser davor. Wir geben 3 Sterne!!! Besser geht’s nicht! Wir bauen erst um 21:00 Uhr unser Zelt auf, um keine bösen Überraschungen zu erleben, dass doch noch jemand kommt. Wunderbar geschlafen.


05. August 23 Kela -> Ekenäs (79 km)
Und in der Sonne gefrühstückt! Die Weiterfahrt findet über Schotterstraßen statt, auf und ab: das ist nicht lustig. Die Strecke belohnt uns dafür mit abwechslungsreicher Landschaft, sanfte hügelige Weite, Wälder in der Ferne, Agrarland mit Getreide in reifem Stand. Wir sind begeistert trotz der Anstrengung.
Wir landen auf einem richtigen Campingplatz am Meer, dieses Mal fest in finnischer Urlauberhand. Viele Wohnmobile. Wir sind Fans vom finnischen Regisseur Kaurismääki: hier könnte er einige seiner Protagonisten gefunden haben!
Es gibt eine Küche, die wir zum Zubereiten eines köstlichen Mahls mit frischen Bohnen und Fisch nutzen.
Bernd hatte fast einen Zusammenstoß mit einem Mann in der Sauna, in die er einfach hinein spaziert ist. Der Mann verteidigte sein Territorium, vielleicht auch seine Frau, die in der Sauna sitzt. Bernd wusste nicht, dass die Sauna angemietet wird und nicht für jedermann frei verfügbar ist. Er kam noch einmal davon.

06. August 23 Ekenäs -> Salo (67 km)

Ich weiß es morgens gottseidank noch nicht: heute kommt der anstrengendste Abschnitt unserer Radtour auf uns zu. Steigungen, Steigungen, noch mehr Steigungen. Abfahrten zwischendrin auch. Dann Schotterstraßen und Steigungen mit gemeinem Steigungsgrad. Und die Bundesstraße! Was soll man machen? Immerhin ist es trocken.
Wir schaffen es bis zum nächsten Campingplatz auf der Schäreninsel Vuohen-Saari bei Salo. Und der Platz entschädigt wieder für Alles. Mit Blick auf eine schöne Meeresbucht steht unser Zelt etwas oberhalb des Strandes, erhaben auf einem Hügel. Um uns herum nur Wald, Kiefern, sonst nichts. Wir sind hier windgeschützt. Es gibt an der Rezeption ein Restaurant, hatten wir auch noch nicht. Und es gibt eine neu eingerichtete Küche mit mehreren Küchenblocks, sodass mehrere Leute gleichzeitig kochen können. Super!
Traumhaft schön dieses Finnland.
Campingplatz Vuohensaari/Salo, 27.- €/Nacht

Hier wollen wir 2 Tage bleiben! Bei 30 Grad!


07. & 08. August 23
Wir radeln zurück in die Stadt Salo, einst Nokia-Standort. Heute wirkt die Stadt wie eine verlassene Filmkulisse. Einst mal eine Industriehochburg, ist es heute eine Arbeitslosenhochburg. Grass wie man das sehen kann. Die Stadt wirkt tot, wenige Menschen auf der Straße. Traurig. Eigentlich wollten wir essen gehen. Aber wir fanden kein Restaurant, das uns zugesagt hat.
Wir finden einen Supermarkt und kaufen etwas zum Kochen ein.

Hier überstehen wir gesund und munter einen heftigen Sturm, dem wir ahnungslos entgegen gehen. An vielen Orten in Skandinavien hat er für Weltuntergangsstimmung gesorgt, für Überflutungen und Schäden an Natur und Häusern. Das erfuhren wir aber erst später. Wir sitzen im Restaurant des Campingplatzes und schauen dem Sturm zu. Wir lesen, essen leckere Teilchen, kochen in der Küche, unterhalten uns mit anderen Touristen und schauen ab und zu nach, ob unser Zelt noch steht. Das war der beste Platz für solch ungünstige Wetterverhältnisse. Bernd schaut sich den Deich an, über den man zu diesem Campingplatz fahren muss. Der ist überflutet, man kann nicht mehr weg vom Campingplatz!


09. August 23 Salo -> Turku (60 km)
Abschied von diesem schönen Platz. Die Überfahrt über den Deich ist wieder problemlos möglich und nun sehen wir die Schäden, die der Sturm an den Bäumen rechts und links der Straßen verursacht hat. Wir verlassen Salo Richtung Turku. Die Straße ist wenig befahren und nur moderat geht es Auf und Ab. Wir erreichen Turku frohen Mutes gegen 15:30 Uhr. Eine Stadt der Menschen, quirlig, lebendig. Leider regnet es dann wieder, weshalb es uns nicht viel Spaß machte, herum zu spazieren. Highlight ist auf dem Marktplatz ein vergnügtes Straßensymphonieorchester, die sowohl schwungvolle moderne als auch klassische Musik spielen. Beim Nachfragen erfahren wir, dass dies ein niederländisches Amateurorchester ist, dessen Musiker jeden Sommer gemeinsam in Urlaub fahren und dabei auftreten und offensichtlich sehr viel Spaß dabei haben.
Wir haben eine Nacht auf einem ausrangierten Kreuzfahrtschiff von 1960 gebucht. Jetzt ist es ein Hostel und liegt günstigerweise direkt am Fährhafen nach Stockholm, von wo aus wir am nächsten Morgen früh aufbrechen müssen.


10. August 23 Turku -> Stockholm (12 km)
Die Fähre verlässt Turku um 7:45, 1 Stunde Zeitumstellung dazu. Die Fahrt mit der Viking Line war sehr angenehm, gemütliche Restaurants und Cafés, die vielen kleinen Inselchen in der Schärenlandschaft, klitzekleine Häuschen - natürlich bunt. Und Bernd ist unterwegs auf dem Schiff und fotografiert.
Highlight ist zu unserer Ueberaschung das Netherlands-Street-Orchester, die auf dem Vorderdeck spontan eine Vorstellung geben. Super Stimmung herrscht dort, selbst der Kapitän steht die ganze Zeit mit dabei und filmt diese fröhliche bunte Truppe. Die Musikerinnen und Musiker haben selbst größten Spaß, sie spielen immer ein bisschen Theater dabei und bringen die Zuhörer auch zum Tanzen. Und das während wir durch die schönste Schärenlandschaft fahren.

Pünktlich legen wir um 18:55 h in Stockholm an. Bernd war besonders von der Hafeneinfahrt sehr begeistert, während ich im Schiff orientierungslos herumrannte und den Ausgang zum Autodeck, wo unsere Räder standen, nicht fand. Dann letztendlich doch, weil es einen guten Menschen auf dem Schiff gab, der mir den Weg zeigte! Wir radeln zum Campingplatz Klubbensborg, 11 km vom Stadtzentrum entfernt. Diesen Platz haben wir schon im Juni vor unserer Reise reserviert, wäre aber auf der Zeltwiese wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen. Klubbenborg ist die Anreise von Stockholm wert! Direkt am Wasser gelegenes Gelände mit mehreren alten, farbigen Holzhäusern in der Wiese verteilt und mit einem Stellplatz für Wohnmobile und einer Wiese nur für Zelte. Das gefällt uns immer am besten, wenn neben den Zelten nicht auch die Autos stehen. Das Gelände ist idyllisch, eine Bucht zum Schwimmen, eine Wiese mit Tisch und Bänken zum Essen in der Sonne und mit einem sehr schönen Café mit Terrasse am Wasser. In einigen der Häuser kann man wohl auch Zimmer mieten. Aber es gibt so viel Schönes in Stockholm sehen, dass wir nicht all zu viel Zeit auf dem Campingplatz verbringen.

11. August 23 Klubbenborg -> Stockholm -> Klubbenborg
Das Wetter ist nicht besonders sonnig, eher regnerisch. Wir radeln als erstes auf einem Fahrradweg durch ein Wohnviertel in das Zentrum von Stockholm. Wir suchen einen Outdoor-Laden, der für unseren schwedischen Campingkocher ein dringend benötigtes Ersatzteil hat. Auf der Suche nach einem solchen Geschäft lernen wir die Innenstadt mit ihren angrenzenden Wohnvierteln kennen. Im Zentrum wimmelt es von Touristen. So viele Menschsen und Eindrücke sind wir gar nicht mehr gewohnt. Das Ersatzteil gibt es nirgendwo. Dann auf zum sight-seeing - wir radeln zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Bald wird es uns zu voll und wir machen uns auf den Rückweg nach unserem Idyll in Klubbenborg.

12. August 23 Klubbenborg -> Drottningholm -> Stockholm
Unser 2. Tag in Stockholm startet mit einer Tour ins Umland. Wir fahren wieder mit der Fähre übers Meer und kommen nach Drottningholm, dem Wohnsitz der Königsfamilie. Besichtigung des chinesischen Sommerhauses, des Parks und der Schlossanlagen.

13. August 23 Klubbenborg -> Stockholm -> Djurgarden
Besuch im Museum des Prinzen Eugen, wunderschöne Ausstellung von schwedischen Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts. Das ist für uns ein Höhepunkt in Stockholm.
Die Halbinsel Djurgarden ist eine grüne Oase und es ist sehr schön am Wasser entlang zu radeln!

Abfahrt: Wir fahren zum Busbahnhof, frühzeitig, um nur ja nicht den Flixbus nach Hamburg zu verpassen. Um Mitternacht kommt er pünktlich an und nimmt auch, wie bestellt, unsere Fahrräder mit. Von anderen Radlern haben wir dies bzgl. gehört, dass es Fahrer gibt, die sich weigern die Räder, trotz Vorbestellung, mit zu nehmen. Wir haben Glück, auch mit dem Bus, der ist neu und selbst die Toilette in bestem Zustand. Wir verbringen eine super angenehme Reise durch die Nacht, über die lange Oeresund-Brücke in Dänemark, bis wir mit nur 15 Min. Verspätung in HH ankamen, diese sind aber erst im Stau in der Stadt entstanden.

Wir haben genügend Zeit, unseren Zug nach Köln zu bekommen.