Die folgende Tour stand schon sehr lange auf meiner Liste, aber irgendwie ist immer etwas dazwischen gekommen – der letzte Anlauf Ostern 2020 war an Corona gescheitert. Im September 2022 war es dann endlich soweit...
Soundtrack (Einstimmung): Dota - Rennrad Berlin – Prag – ŠtiřínDer Eurocity nach Prag kommt pünktlich – das heißt eigentlich ein paar Stunden zu früh für Leute, die in ihrem Urlaub ungern allzu zeitig aufstehen. Egal – der viel gepriesene Speisewagen hält, was er verspricht und nach einem ordentlichen Frühstück mit Kaffee erwachen Lebensgeister und Vorfreude. Zu viert wollen wir in den kommenden Tagen den Greenway Prag – Wien unter die Räder nehmen und uns dabei auch den örtlichen Köstlichkeiten nicht verschließen.
Wir beginnen damit auch gleich in Prag, das wir gegen Mittag erreichen: Die völlig überfüllte Innenstadt lassen wir schnell hinter uns und finden am Moldauufer eine Fressmeile vor, auf der wir uns standesgemäß verpflegen.
Es ist regelrecht heiß und vor der Weiterfahrt zippe ich meine Hosenbeine ab. Eine amerikanische Touristin fotografiert mich dabei – mein mitteleuropäisches Prachtknie scheint eine interkontinentale Attraktion zu sein.
Der Weg aus Prag heraus ist gut ausgeschildert und unspektakulär. Bei einem kurzen Stop in Průhonice komme ich erstmals dazu, meine seit jeher nur rudimentär vorhandenen und nun obendrein noch verschütteten Tschechischkenntnisse zu erproben. Es klappt überraschend gut, jedenfalls wird uns umgehend der Weg zur nächsten Eisdiele gewiesen.
Am frühen Abend erreichen wir unser Etappenziel, das Schloss Štiřín, in dem wir auch logieren. Der Tag wäre allerdings nicht komplett ohne einen abendlichen Abstecher ins nahe gelegene Velké Popovice zur Brauerei „Kozel“. Kozel bedeutet „Ziegenbock“, und ein solcher lebt tatsächlich als Maskottchen auf dem Brauereigelände. Für einen echten Ziegenpeter natürlich ein Highlight! Man kann den Kozel – wie wir – füttern und streicheln und erhält dabei gratis – wie wir – ein dezentes olfaktorisches Souvenir bis weit in den nächsten Tag hinein.
Soundtrack: Smetana - Die Moldau Getränk des Tages: Kozel unfiltriert
Štiřín – TáborDas Frühstück im Schloss lässt nichts zu wünschen übrig und bald darauf sitzen wir wieder im Sattel. Das Wetter ist nach wie vor traumhaft, aber die Landschaft wird immer hügeliger. Meine 1x11-Schaltung habe ich vor der Abfahrt noch auf ein kleineres Kettenblatt umgerüstet und die Untersetzung reicht gut auch für steilere Strecken. Andererseits verschwinden die Hügel auch dadurch nicht und wir fluchen an den Anstiegen in allen uns bekannten Sprachen (was bei vier Personen mit unterschiedlichem regionalen Hintergrund und Interessen erstaunlich viele sind).
Glücklicherweise ist auch die nächste Abfahrt nie weit, und eine der schönsten der ganzen Tour bringt uns hinunter nach Týnec nad Sázavou, wo wir Getränke tanken und die Aussicht vom Stadtturm aus genießen.
Sehr angenehm in Tschechien ist, dass es auch in kleineren Ortschaften häufig Geschäfte zum Auffüllen der Vorräte gibt – oder sogar Dorfkneipen, wie hier in Kosova Hora, wo wir einen Mittagsstop einlegen:
Die Route ist nach wie vor gut ausgeschildert und verläuft größtenteils auf Nebenstraßen mit gutem Belag, so dass man im Prinzip gut vorankommt - wenn man nicht dauernd bergauf fahren müsste. Das Profil haben wir tatsächlich etwas unterschätzt, so dass wir nach weiteren Flüchen deutlich später als geplant am Etappenziel in Tábor ankommen, womit weitere Besichtigungen ausfallen.
Die Stadt ist aber auch so sehr schmuck und lädt zum spazieren ein, und nach einer Runde böhmische Knödel sind auch die Reserven wieder aufgefüllt. Vom Weinfest am Vortag ist noch eine Bude auf dem Marktplatz übrig, und wir testen uns bei bester Stimmung weiter durch das lokale Getränkeangebot.
Soundtrack: Herr, nimm auch uns zum Tabor mit
Getränk des Tages: Birell Pomelo & Grep (Minderheitenvotum)
Tábor - Nový Vojířov Zunächst ein paar Kilometer im Tal der Lužnice entlang, geht es bald wieder wieder fröhlich auf und ab und wir nutzen den Stop in Jindřichův Hradec für eine längere Pause. Die Innenstadt ist einmal mehr sehr pittoresk und trotz nur 20.000 Einwohnern kommt fast etwas Großstadtflair auf, als wir am Hauptplatz auf ein Bistro mit vegetarischer Vollwertküche stoßen.
Die Stadt verfügt über nette kleine Lädchen und ein sehenswertes Schloss – mein persönliches Highlight aber ist natürlich die Koláčovna wo man – wie der Name schon sagt – Koláče unterschiedlichster Art bekommt. Hier einer der besonders schmackhaften Vertreter:
Zum Glück erfahren wir erst später, dass es in Jindřichův Hradec zwei berühmte Absinthhersteller gibt, sonst hätte unsere Etappe möglicherweise fein frühzeitiges Ende gefunden. So aber fahren wir weiter und erreichen am Nachmittag über einen traumhaften Radweg durch den Wald böhmisch Kanada und damit auch erstmals die österreichische Grenze.
Ein Stück Abseits des Wegs im Wald befindet sich der nördlichste Punkt Österreichs. Wir waten durch den Bach nach drüben – es ist immer noch sehr warm – und haben damit zumindest der Form halber auch den Nachbarn im Süden einen Besuch abgestattet.
Bereits während der Mittagspause hatten wir eine Unterkunft in böhmisch Kanada angerufen und uns dort angekündigt. Sie sollte sich als absoluter Glücksgriff herausstellen: „Medvědí Paseka“ liegt am Rande des Dörfchens Nový Vojířov.
Es ist eine alte Dorfschule, deren Zimmer von einer Künstlerin (ich nehme an, gleichzeitig die Betreiberin) in unterschiedlichen Stilen gestaltet wurden – von Replika alter Meister bis Hundertwasser findet sich fast alles:
Die Dame des Hauses ist nicht anwesend, aber wir werden sehr herzlich von Zdenda begrüßt. Noch vor jeder Formalität gibt es erst mal ein kaltes Bier aus „Standy’s Bar“ für jeden – so lässt es sich aushalten! Zu späterer Stunde gibt es dann Selbstbedienung mit Strichliste. Am nächsten Morgen wundern wir uns erst über unseren bescheidenen Verbrauch, stellen aber anschließend fest, dass unsere Striche unbeabsichgterweise sämtlich unter den Namen anderer Gäste gelandet sind. Anscheinend war der Abend also ganz gut!
Soundtrack: Divokej Bill - Pták Getränk des Tages: Begrüßungsbier aus Standy’s Bar
Nový Vojířov – Vranov nad DyjíDer nächste Tag beginnt mit einem saftigen Anstieg – wir trösten uns damit, dass der höchste Punkt der Tour damit wohl erreicht ist und es nun „tendenziell“ bergab geht.
Ab hier begleiten uns täglich die Bunkeranlagen des „tschechoslowakischen Walls“, die in Erwartung eines deutschen Angriffs bereits seit Mitte der 30er Jahre errichtet wurden. Zum Einsatz kamen diese Bunker nie, wie bekannt benötigten die Nazis keinerlei Kampfhandlungen, um diesen Teil der Tschechoslowakei zu annektieren.
Heute kann man manche Bunker besichtigen (was wir in einem Freilichtmuseum tun), auf einigen stehen Hochsitze, andere können gemietet werden – die meisten aber stehen einfach nur da.
Die Burg Landstejn steht als nächstes auf dem Plan. Dafür ist wieder mal ein kleiner Berg zu erklimmen, aber dafür kommen wir zu normalen Öffnungszeiten dort vorbei und können sie auch von Innen besichtigen.
Das gilt nicht für das Schloss von Vranov nad Dyjí. Am frühen Abend kommen wir dort an und wandeln umgehend in den Schlosshof, nur um wenige Minuten später wieder herausgekehrt zu werden.
Unten im Ort stehen mehrere Unterkünfte zur Auswahl, das Verzeichnis radlerfreundlicher Unterkünfte
https://www.cyklistevitani.cz (ähnlich Bett&Bike) hilft bei der Entscheidungsfindung. In der somit auserwählten „Penzion Relax“ gibt es noch Platz und außerdem z.B. eine Standpumpe und einen abschließbaren Schuppen für die Fahrräder. Vor allem aber sind die Gastgeber unglaublich nett – sie bekommen nicht so viele internationale Besucher und freuen sich sichtlich über meine Bemühungen, mich auf Tschechisch verständlich zu machen (oder finden sie zumindest amüsant). Wir bekommen aber alles problemlos geklärt, einschließlich dem Erwerb einer Flasche kühlen Weißweins aus Znojmo – dem Relaxen steht also nichts mehr im Wege!
Soundtrack: Jarek Nohavica - Český fousek Getränk des Tages: Kofola
Vranov nad Dyjí – MikulovEs wird sich wohl nicht mehr klären lassen, ob wir möglicherweise allzu relaxt waren – jedenfalls vergessen wir bei der Abfahrt aus Vranov eine wichtige Kleinigkeit in der Pension. Unser Gastgeber fährt uns sogar ein Stück (erfolglos) mit dem Auto hinterher und schickt später extra ein Päckchen nach Deutschland – Unterkunft of the Year!
Die Thaya schängelt sich lieblich hinter der Pension entlang, und irgendwie scheint es auf einmal eine gute Idee, die Route zu verlassen und einfach dem Flusslauf zu folgen.
Das funktioniert auch ein paar Kilometer ganz gut (ungefähr zwei) – dann beginnt der Nationalpark Thayatal. Warum der Nationalpark Thaya“tal“ heißt, muss man wahrscheinlich nicht verstehen – in unserem Fall jedenfalls knickt der Weg rechtwinklig vom Fluss ab und führt direkt aus dem Thayatal hinaus. Dafür finden wir uns wenig später an einem verblockten Weldweg mit gefühlten 45° Steigung wieder. Nach gut einer Stunde haben wir uns auf der Karte nur unwesentlich von Vranov entfernt.
Irgendwann kommen wir jedoch an einer gut befahrbaren Straße an und werden mit einer phantastischen Abfahrt belohnt, an deren Ende man ein Denkmal des Eisernen Vorhangs bewundern kann.
Das Radreise-Wiki hat nicht gelogen, der Weg durch den Nationalpark ist auch auf der offiziellen Route stellenweise eine Herausforderung. Sogar bei den Abfahrten muss man sich zügeln, um nicht mit der örtlichen Repitlienwelt in Konflikt zu geraten.
Tatsächlich tummeln sich etliche Blindschleichen auf unserem Weg und ein durchaus stattliches Exemplar einer (vermutlich) Äskulapnatter sonnt sich am Wegesrand.
Der Nationalpark insgesamt ist traumhaft und der sich bei der Ausfahrt aus dem Wald bietende Blick von oberhalb der Thayaschleife atemberaubend.
Mittlerweile radeln wir durch Südmähren und damit mitten durchs tschechische Weingebiet.
Immer öfter tauchen nun Buden oder kleine Weinschenken am Wegesrand auf – gerne würden wir ja den frischen
burčák (Federweißen) probieren, aber er scheint so beliebt, dass die Tagesvorräte immer schon ausgesüffelt sind, wenn wir fragen. Šatov wäre vielleicht ein guter Ort, um ein Weinlokal zu suchen, wirkt aber so überlaufen, dass wir doch lieber weiterziehen.
Beim Mittagessen ein paar Orte weiter müssen wieder einmal die Tschechischkenntnisse rausgekramt werden. Ich frage nach
zimne napoje, was in der Speisekarte normalerweise über den Kaltgetränken steht. Allerdings, wie mir bald wieder einfällt, in Polen. Hier ernte ich nur erstaunte Blicke und erhalte eine Aufzählung von Kaffee bis Glühwein. Ein Glühwein bei 25° scheint mir eine recht kühne Interpretation meines Wunsches nach einer kühlen Erfrischung, was die Kellnerin meinem ratlos-überraschten Gesichtsausdruck wohl auch direkt entnimmt. Kurze Zeit später gibt es die gewünschte Abkühlung und ein Blick ins Wörterbuch verrät uns, dass
zimní auf Polnisch durchaus „kalt“ bedeutet, auf Tschechisch aber „winterlich“. Nun weiß ich auch, was dieses „lost in translation“ eigentlich bedeuten soll. Darauf einen Grog!
Der Weg ist nun flach und wir kommen gut voran bis Mikulov. Die Kleinstadt ist außerordentlich sympathisch und verströmt fast ein wenig alternatives Flair. Einmal mehr erweist sich unsere spontane Unterkunftswahl als echter Glücksgriff – die zur Straße hin unscheinbare Pension verfügt nicht nur über einen Garten mit Blick auf das Schloss, sondern auch einen direkten Weinkelleranschluss. Burčák bekommen wir zwar auch hier nicht, dafür aber sonst alles, was die mährische Rebe hergibt.
Soundtrack: Chinaski - Víno Getränk des Tages: Ryzlink Rýnský
Mikulov – MalackyMikulov war über viele Jahrhunderte ein Zentrum jüdischen Lebens in Mähren. Bevor wir uns wieder auf den Weg machen, besichtigen wir die Synagoge und den jüdischen Friedhof.
Die Berge haben wir nun endgültig hinter uns gelassen und so gelangen wir bald an die Stelle, wo der Greenway scharf rechts nach Österreich abbiegt. Scharf rechts ist nicht so unser Ding, außerdem kann niemand so richtig auf die Frage antworten,
was wir in Wien eigentlich wollen, gerade jetzt, wo uns das Wort
burčák einigermaßen flüssig über die Lippen kommt.
Wir fahren also geradeaus in Richtung Slowakei und überqueren am frühen Nachmittag die Grenze. Auf dem Iron Curtain Trail geht es nun immer an der Morava entlang in südlicher Richtung. Nach den Höhenmetern der vergangenen Tage sind wir nun tatsächlich noch auf einem richtigen Flussradweg gelandet, auch wenn die Oberfläche allzu ambitionierten Sprints klare Grenzen setzt.
An diesem Tag regnet es erstmals auf unserer Tour – dafür aber gleich richtig. Am Fluss gibt es kaum Möglichkeiten zum Unterstellen und auch nur wenige Unterkünfte, so dass wir den Weg verlassen und am frühen Abend völlig durchnässt die Kleinstadt Malacky erreichen. Wir finden ein günstiges Hotel, in dem wir uns erst mal zum trocknen aufhängen.
Soundtrack: Antonia Bill – Was willste denn in Wien? Getränk des Tages: Regenwasser
Malacky – BratislavaAuf kleinen und kaum befahrenen Landstraßen geht es am nächsten Morgen bei deutlich besserem Wetter wieder gut voran und recht fix sind wir wieder an einem Fluss – dieses Mal ist es die Donau.
Die letzten Kilometer nach Bratislava gehören zwar zum Donauradweg, ein Radweg im eigentlichen Sinn existiert aber nur stückweise, so dass die Strecke bei stetig zunehmenden Kfz-Verkehr etwas nervig ist. Dafür sind wir recht früh am Ziel und verbringen des Rest des Tages mit Sightseeing, Postkartenschreiben, Schlenderungen und einer Tram-Tour in einer alten Tatra-Bahn.
Am Abend entdecken wir in der Innenstadt eine sympathisch wirkende Weinhandlung mit ein paar Tischen davor – dass in der Slowakei auch Wein angebaut wird, war uns nicht bewusst. Der Verkäufer erzählt uns einiges darüber, was aber hinter der folgenden Nachricht verblasst: hier gibt es nicht nur theoretisch
burčák, sondern es ist auch noch etwas davon da! Das Abendprogramm nimmt sofort sehr konkrete Formen an, auch wenn es auf slowakisch nun
burčiak heißt. Passt eh!
Soundtrack: Basta – Bratislava Lover (bis Sek. 15) Getränk des Tages: burčiak!