Im Sommer 2000 fuhr ich das erstemal mit dem Rad nach Griechenland. Es war der Versuch, mindestens drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Fahrrad, Foto, Griechenland. Ich fuhr mit meinem 15jährigen Neffen, es sollte uA dazu beitragen, ihm das Rauchen und Kiffen abzugewöhnen. Beides war - natürlich - nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt, aber es war für uns beide eine unvergessliche Unternehmung.
Mit Ausnahm der Jahre 2001 und 2012 war ich seither jedes Jahr mit dem Rad in Griechenland. Mal von Haustür bis Haustür, mal mit Start und Ende weiter im Süden mit dem Zug. Bezüglich der Anreise gibt es ja nun nicht allzu viele Alternativen, wenn man nicht die ganze Balkanroute runter fahren will, sondern mit der Fähre über die Adria möchte. Ich habe immer versucht, kleinere Neuerungen einzubauen, so kann ich behaupten, von der Poebene wohl mehr gesehen zu haben als die allermeisten Italiener.
Dasselbe gilt noch mehr für Griechenland selber, eine Griechin sagte mir dieses Jahr, sie hätte im Vergleich zu mir keine Ahnung, wie es in ihrem eigenen Land aussieht. Noch weitgehend unberadelt ist für mich das nördliche und nordwestliche Festland, aber ich war mit dem Rad von Euböa abgesehen auf jeder größeren Insel, kenne die Peloponnes und auch Kreta sehr weitgehend. Stopovers in Athen und Thessaloniki waren auch dabei und notwendigerweise zusammengerechnet viele Tage auf Fähren.
Heuer im Nochcoronajahr ist also das Zwanzigstemal. 2020 war ich nur 5 Tage in Griechenland, ich brach die Reise ab, weil ich etwas hysterisch glaubte, angesichts des Getuschels unter den Einheimischen befürchten zu müssen, daß die Regierung wieder alles zuschließen könnte und ich dann auf kleineren Inseln sitze und nicht mehr zurückkomme. Das hatte sich als Unfug erwiesen und ich hatte dieses Jahr trotz erheblich schlechterer Inzidenzzahlen den festen Entschluß, mich nicht mehr ins Bockshorn jagen zu lassen.
Noch 6 Wochen vor der Abreise lagen die Griechen bei 70, um dann auf 250 hochzuschnellen. Ich bin komplett geimpft und gewillt, auch zu reisen, wenn sie bis 500 steigen sollten. Es verharrt dann bei leicht über 200, um später langsam zurückzugehen.
Es geht los, nicht gern akzeptierterweise mit einem Überschuß an Trainingsmangel und einem deutlicheren als sonst bestehenden Mangel an Idealgewicht.
Noch in Pfullingen beuge ich kommenden Versorgungsengpässen vor und statte einer Tanke einen Besuch ab:
Aber was solls, ich habe eine schöne Albaufstiegsoption entdeckt, die ich noch nicht kannte: die ex-Bahntrasse hinter Honau. Ich bewältige sie schiebend, die durchgehenden 10-12% sind nicht innerhalb meiner Möglichkeiten. Dieser Leidensweg wurde nicht näher dokumentiert und so folgt ein Bild von oben auf der Alb, eine Baustelle nötigt mich, diese nette Umleitung kennenzulernen:
Eine Verkehrsinsel bei Trochtelfingen:
Am Folgetag habe ich dafür zu sorgen, daß sich der Belag des Rheindamms nicht lockert und so fahre ich zum xx-ten Mal diese an sich nette, aber auf Dauer langweilige Strecke entlang:
Den richtigen Anfang einer ganzen Serie von aufgegebenen Etappen meiner Planung macht die Julierüberquerung: es ist kalt und regnerisch und ich bin fett und müde. Deswegen wieder die rhätische Bahn und hier der Ausblick auf den Morteratschgletscher. Mir ist dabei bewußt geworden, daß sich das Eis, seit ich 1978 das erstemal dort war, dermaßen weit zurückgezogen hat, daß man sich heute kaum vorstellen kann, daß alles, was man hier auf dem Bild oberhalb des Waldes sieht, damals Gletscher war:
Südlich von Lecco fahre ich wieder ein Stück auf dem lieblichen Adda-Uferweg:
Nicht ohne auch heute durchaus untrocken weiter zu kommen:
Auch die Eiffelturm-Style Ponte San Michele bei Paderno d´Adda ist außerordentlich traurig gestimmt. Den dort rechts im Wald erforderlichen Aufstieg mit 32% Steigung bis zur Brückenhöhe erledige ich etwas asthmatisch schiebend:
Mein Ziel ist ein Agriturismo. Wie es die oft besungene Duplizität der Ereignisse so mit sich bringt, gibt es auch dieses Jahr wieder wenige Kilometer vorm Ziel ein Unwetter: ganz identisch wie 2020. Diesesmal endet es für mich aber nicht im Desaster sondern zieht fürchterlich wutschnaubend knapp nördlich an mir vorbei:
Ich kann mich unter einem flatternden Restaurantvordach unterstellen und den umherfliegenden Stühlen und Schirmchen zusehen.
Dann das wunderbare Agriturismo Zorlesche bei Camisano:
Ich bin der einzige Gast und bekomme wie ausgemacht Schlag halbneun ein opulentes Frühstück im Hof serviert:
Auf idyllischen Sträßchen geht es durchs Hinterland der Poebene weiter:
Amazonas in Italia:
In Casalmaggiore hat - mal wieder - ein Unwetter gewütet als ich dort eintreffe. Zuerst wundere ich mich noch, warum die alle am selben Tag ihre Gartenhecken schneiden, weil die Wege alle übersäht mit Grünzeug sind. Als ich dann die Hagelberge und Seen sehe, hab ichs kapiert.
Ein absoluten Novum bietet mir die Hoteltiefgarage: ich kann das Rad an eine Kutsche anschließen:
Die nächste Station, wegen einer gewissen Schwäche und - mal wieder - Regengüssen nicht ohne eine eingelegte Zugfahrt erreicht, ist Reggio Emilia. Im Hotel gibt es auch mit meinen immer mitgeführten 8 m Spanngurten (enorm praktisch) keine Aufhängoption für die Wäsche, sodaß eine neuartige Vorhangvariante zum Zuge kommt:
Im Flur das Spiegelkabinett, adipösen Zeitgenossen schmeichelnd:
Es folgt aus Ancona der Blick aus der Erniedrigung, allerdings nur der Kamera:
So streng, wie ich im Eincheckzentrum kontrolliert werde, erfolgt das während der Reise nie mehr. Vollautomatisches en-passant-Fiebermessen am Eingang, Vorabkontrolle (penibelst) der Impfdoku und des vorliegenden Registrierungsformulars (PLF) für Griechenland, dann darf man erst zum Ticketschalter. Verständlich, die wollen halt keine Leute, die in GR garnicht reingelassen werden, wieder mit zurück bringen müssen.
Geht aber alles ganz easy und nach ein paar Stunden Wartens kann ich aufs Schiff, diese Orte sind in Ancona ja räumlich recht weit auseinander.
Nach der Überfahrt komme ich am frühen Nachmittag in Patras an. Kontrollen: ja, Impfen und PLF, aber da reichte dem Herrn je ein halber Blick und gut.
Das Thermometer bestätigt die Ankündigungen: es handelt sich um eine Zahl mit zwei Ziffern, die vordere ist eine 4. Die knapp 1600 Höhenmeter vom Kleinstädtchen Aigio über den Paß nach Kalavryta habe ich im Februar großzügig mit eingeplant und inzwischen, ernüchtert, fahrradmäßig gestrichen. Ich möchte allerdings auf jeden Fall dorthin, denn von Kalavryta gibt es mehrere landschaftlich wunderschöne Optionen, Richtung NO wieder runter an die Küste zu fahren. Nach 6 Minuten Umbau sitze ich im Taxi. Die Klima ist mir zu kalt. Der Fahrer relativ jung und wir unterhalten uns halb englisch, halb griechisch. Seine Überzeugung läßt sich ungefähr so zusammenfassen (O-Ton): welcher Politiker ist eigentlich egal. Sie essen alle Geld.
Die Fahrt auf der Autobahn geht flott, dann kommt der Anstieg. Unten hatte es um 15 Uhr noch 40 Grad, je höher wir kommen, desto heißer wird es - seltsam. Eine Hangstaulage eben. 42°. Dann kühlt es doch noch ab und als er mich wunschgemäß auf der Paßhöhe raussetzt, hat es dort wunderbar frische 38° - auf 1150 m Höhe. Entgegen meiner Erinnerung geht es nicht einfach nur drüben wieder runter, sondern 28 km in munterem Auf und Ab durch die Berge.
Am Zielort (20:30....) besorge ich eifrig vor Ladenschluß noch Getränke und etwas zu essen und lasse mich im Hotel Kynaitha aufs Bett fallen. Am nächsten Morgen zeigt sich: es ist auch hier oben so heiß, daß von der Erklimmung des
Helmos, die ich unbedingt machen wollte, keine Rede sein kann, zumindest nicht heute und für mich in meinem Zustand. Der Helmos ist der Hausberg der Gegend, 2300 m hoch (das weiße Ding oben links ist ein Planetarium und der höchste Punkt):
An Pfingsten war ich hier mit dem Leihwagen gewesen und hatte mir überlegt, wie das mit dem Rad machbar sein könnte. Man kann auf Asphalt bis zum Skizentrum fahren und dann auf Schotter weitere 9 km bzw 600 Hm bis zum Gipfel. Irgendwann werde ich das nochmal hinkriegen. Mit dem Rad. Ich begnüge mich daher mit Rumbummeln, wohne einer spätnachmittäglichen Hochzeit bei und habe zum Mittagessen zwei kleine Monsterchen als Bewacher:
Es gibt Feuer unten an der Küste. Vom Zivilschutz erreicht mich eine SMS mit der Aufforderung, mich sofort zu evakuieren, falls ich dort sei. Das bin ich nicht, aber ich gedenke, mit dem Zug weiterzufahren. Auf dem Rückweg nach Aigio kommt dann noch recht spektakulär der Blick fast von oben auf das Tal, durch das ich an Pfingsten gefahren war:
Die Bahnlinie ist brandneu, das Wagenmaterial wenigstens nicht aus dem letzten Jahrhundert:
Bei Megara steige ich wieder aus. Die Überbrückung dieses ziemlich ätzenden Abschnitts ist für mich ausreichend und so werde ich in eine ausgetrocknete no-name-Wildnis entlassen. Durch verlassene landwirtschaftliche Gebiete rolle ich einem anderen Radler hinterher, der sich keinmal umdreht. Schließlich erreiche ich die Meerenge vor Salamina und fahre auf die Fähre, die sofort danach übersetzt: Glück ist manchmal nett.
Salamina ist dort, wo es nicht zersiedelt ist, recht schön:
Dann folgt ein etwas wackeliger (Kreislauf) Aufenthalt im Schatten eines Supermarktes und die paar Höhenmeter bis zum Hauptort. Jemand hat in weiser Voraussicht, daß ich dessen bedürftig sein werde, eine Art Hütte gebaut mit Liegefläche:
Hier chille ich eine Stunde und kann danach bei angenehmen 39° die letzten 2 km bis zum Hafen absolvieren. Wieder habe ich Glück und das Personenboot, das direkt in den Hafen von Piräus fährt (40Min) legt gleich ab. Jetzt kommt der Moment, wo der Frosch ins Wasser rennt, besser gesagt, wo ich mich tatsächlich smartphonisieren lasse. Das Hotel The Alex hätte ich sonst nur schwer gefunden. Es liegt schon sehr weit vom Schuß, ist aber einfach klasse. Abends steige ich denen aufs Dach und genieße Rundblick, frische Luft und leckeres Essen:
Den Tagesabschluß bildet ein nächtlicher Blick auf Athens Wahrzeichen: