Tag 2: Piora – Bochetta di Föisc – Val Canaria – Passo Scimfuss – Gotthardpass – Sentiero alto Val Bedretto – Capanna Corno-Gries (Karte) Kurz vor sechs purzle ich unbefrühstückt los. Botanisch beginnt der Tag vielsprechend mit einer Alpen-Akelei:
Langsam…
…erwacht der Tag…
…und nach einigem steilen Geschiebe und Getrage erreiche ich den Föisc-Gipfel:
Die Aussicht ist atemberaubend: Blick nach Süden…
…und runter zum Ritóm-See:
Ich luge durch ein Fenster des
Rifugio Föisc und sehe jemanden schlafen. Ich habe nie ganz verstanden, wie man in den Bergen ausschlafen kann: dieses Spiel von Licht und Schatten, und dazu das Vogelgezwitscher
Ich steige zum kleinen See unter der Bochetta di Föisc zurück (dort habe ich mein Cutthie stehen lassen) und frühstücke:
Die Bochetta di Föisc mit Blick ins Val Bedretto. Ganz hinten im Tal versteckt sich der Nufenen unter einem Nebelhauch:
Zum Glück beginnt der «Feld-, Wald-, Veloweg 5. Klasse» deutlich weiter oben als auf der Landeskarte eingezeichnet – und zum Glück ist es nicht ein Bachbett wie am Passo dell’Uomo:
Selten eine so schöne Kuh gesehen:
Schattig und stotzig geht es runter ins Val Canaria, bevor es sonnig und angenehm…
…auf der anderen Seite wieder hochgeht:
Auch dieser Abschnitt ist auf der Landeskarte als «Feld-, Wald-, Veloweg 5. Klasse» eingezeichnet – scheint eine weite Kategorie zu sein
Das Val Canaria ist eine einsame Sache; ganz am Ende des Tales befindet sich die Cadlimo-Hütte. Bei der Alpsiedlung Orella frage ich eine ältere Frau nach Wasser. Sie erklärt, dass das Quellwasser leider nicht mehr sauber sei. Sie holt eine Flasche Mineralwasser aus dem Keller und füllt grosszügig mein Bidon. Als ich ihr dafür etwas geben will, macht sie ein Handzeichen, mit welchem ich im Strassenverkehr gerne mal meine Missbilligung zum Ausdruck bringe
Nach Orella wird der Weg bis p.2014 schlecht, bevor er dann wieder tipptopp wird:
Ich radle dem Gotthard entgegen…
…und bin bei den Blicken zurück überwältigt…
…von der Schönheit der Landschaft:
Wieso die Lawinenverbauungen im vorherigen Bild? Wegen Airolos! Die Funktion der Mauer im unteren rechten Bildteil entzieht sich mir aber. Vielleicht was Militärisches von früher?
Vor dem Passo Scimfuss ist dann der Weg sogar geteert, der Fadentitel ist also nicht ganz korrekt
(und nebenbei bemerkt war auch das Cutthroat dank eines ShockStop-Vorbaus von Redshift leicht gefedert). Die Aussicht geht weit ins Val Bedretto:
Kurz vor dem Rummel des Gotthardpasses lege ich mich noch ein bisschen hin (der Pfosten dient glaub als Strassenmarkierung für die Schneefrässe – wow, muss das jeweils Schnee haben dort oben!)…
…und erfrische mich in der Sella (eben, der bereits angesprochene Einstieg in 10 Sekunden Selbstauslöserzeit
) :
Dann ist der geschäftige Gotthard erreicht, und ich verspeise im Hospiz eine leckere Rösti. Huch, ist dort oben viel los! Sogar eine Art Mariachi-Band spielt auf, zum Glück auch mit Songs von Johnny Cash:
Der Gotthard mag mich nicht lange halten, und ich purzle ob der alten Passtrasse im Val Tremola…
…und neben der neuen Passtrasse in der Galerie…
…auf den Wanderweg ins Val Bedretto. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an User Redorbiter, welcher mir bei der Tourplanung die Angst vor diesem Abschnitt genommen hat (auf der Karte sieht es dort ein bisschen nach gfürchigen Felswänden aus):
Bald wird der angenehme und aussichtsreiche Wanderweg zu einem angenehmen und aussichtsreichen «4. Kl., Fahrweg (mind. 1,8 m breit)»:
Aussicht auf Wiesen, Bäche und Leventina:
Auf dem Fahrweg geht es für ein paar bedauernswerte Geschöpfe um Leben und Tod: offensichtlich wurden die armen Kaulquappen aus ihrem Biotop gespült und verbrutzeln nun zusammengepfercht an der Sonne:
Der Mag Tank von Revelate Designs erweist sich als multifunktional: dank ihm kann ich ein paar der gebeutelten Wesen in eine grössere Pfütze bringen. Das Ursprungsbiotop bleibt aber leider unauffindbar
Ich lege noch ein paar flache Steine als Schattenspender ins Wasser und ziehe dann weiter:
Auch ein paar Wanderer brutzeln an der Sonne, und mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen ziehe ich an den armen Kerlen vorbei: die Landschaft mit den Gipfeln des Gotthardmassivs ist zwar sensationell schön, aber stundenlanges Wandern auf einem «4. Kl., Fahrweg (mind. 1,8 m breit)» fände ich nicht so cool:
Es ist ordentlich warm, aber erfrischendes…
…Wasser ist zum Glück nie weit weg:
Auch die Blumenwelt erfrischt, hier mit einem gerade erblühten Türkenbund:
Nach der Alpe di Pesciora erstirbt das Lied auf meinen Lippen langsam, denn der Fahrweg hört auf und wird ein anspruchsvoller Wanderweg:
Bis zur Piansecco-Hütte kann ich noch einiges fahren, aber die sehr blockigen Abschnitte nehmen zu. Hier ist einer der wenigen Abschnitte der Tour, wo ich denke, dass ich mit einem Fully mehr hätte fahren können:
In der Piansecco-Hütte schlage ich kalorienmässig ordentlich zu; meine latente Grantigkeit verrät mir, dass das dringend nötig ist: an der zentralsten und engsten Stelle der Terrasse steht ständig ein Typ mit Bandana-Kopftuch, der anscheinend unbedingt der nächste Corona-Superspreader werden will – Idiot
Und nach der Hütte spricht mich ein älterer Herr besorgt an – ich verstehe aber leider ausser «Bici» kein Wort, und weil der Zucker noch nicht recht in meinem Blut angekommen ist, antworte ich nur mit einem italienisch angehauchten Grunzer und ziehe weiter. Aber dann kommt gleichzeitig mit dem Zucker im Blut eine hübsche Badestelle, und die Grantigkeit weicht wieder der Lebensfreude:
Die Lebensfreude weicht dann aber bald der Verzweiflung: kilometerlanges Schieben und Tragen steht an, und das obwohl es eigentlich ziemlich eben ist
Dieser Sentiero alto Val Bedretto ist schon ein bisschen eine Knacknuss: im östlichen Teil ist er für Wanderer doch sehr sehr öde, und im westlichen Teil ist er für Velofahrer die reinste Folter. Ein Fully hätte hier übrigens nichts genutzt; ich glaube, sogar Danny MacAskill hätte hier geschoben
Zu meinem Glück hats aber hübsche Bäche, welche das Herz erfreuen
Blick zurück; das geübte Auge erkennt die neue Gotthardstrasse und das Val Canaria von heute Morgen:
Und Blick voraus: durch diese gegenüberliegenden Hänge will ich morgen. Das geübte Auge erkennt den Weg, welcher durch Schneezungen und Felsbänder führt
Ob das gut kommt? Es ist kurz vor 5, ich bin seit 11 Stunden unterwegs, ganz rechts im Bild kann man im oberen Teil des kleinen Tales die Corno-Gries-Hütte erkennen, mein heutiges Ziel. Und wann findet eigentlich dieser fürchterliche Wanderweg endlich ein Ende??
Eine Wanderin ermutigt mich: die Nufenen-Passstrasse ist wirklich nicht mehr weit! Und tatsächlich, noch um eine Hangecke, und schon rast ein Motorrad direkt auf mich zu
Zum Glück kurvt es in eine Haarnadel, und ich kurve 1270 m und 95 Hm auf Teer runter (ich schaffe es tatsächlich, ein bisschen zu weit runterzufahren – shiiit, bin ich hinüber…). Bis zur Corno-Gries-Hütte sind es ein bisschen mehr als 300 Hm; dank meinem Arbeitsweg rauf in unser Walliser Dorf weiss ich, dass ich 350 Hm eigentlich in jedem Zustand schaffe.
Unmittelbar bei Beginn des Aufstiegs aber ein unerwartetes Problem: mein rechter Unterarm fängt wegen dem vielen Schieben und Tragen an zu krampfen
Also schiebe ich mit links, easy
Zum Glück muss man nix tragen, und stellenweise kann ich sogar ein bisschen fahren; ich bin aber trotzdem langsam aber sicher total ko, daher lasse ich mein Cutthie bei den Alphütten von Corno zurück. Ich stelle mich auf einen beschissenen Hüttenabend ein, bei dem ich in einem Zustand totaler Erschöpfung lethargisch in einer Ecke herumvegetiere – aber da treffe ich kurz vor der Hütte Martin und seinen magischen Teich. Ich tue es Martin gleich und hüpfe gleich drei Mal rein – herrlich, ich fühle mich wie neu geboren! Hm, vielleicht wird es doch noch ein guter Abend
Und ja, es wird ein guter Abend: ich teile mit Martin und Maurus Tisch und Zimmer, was ein Glücksfall ist; das Essen ist lecker und die Abendstimmung (hier der Passo del Corno) wunderschön:
Martin purzelt ein paar Tage mit dem MTB in der Gegend herum, und Maurus wandert von der Grimsel in die Tessiner Familienferien. Maurus und ich sind nicht sicher, ob wir uns morgen wirklich an die Schneezungen und Felsbänder Richtung Passo San Giacomo wagen sollen…
Aber zuerst kommt die Nacht: