Blicke hinter die Kulissen
Liegt es an den gewaltigen Unterschieden zwischen den beiden Ländern, oder hat sich unser Blick auf die Dinge verändert? Nach unserem dreiwöchigen Taiwan-Aufenthalt erleben wir die Philippinen irgendwie anders.
Die Armut eines Großteils der Bevölkerung ist frappierend. Die westliche Kleidung und die Tatsache, dass die englische Sprache so geläufig ist und fast jeder ein Smartphone in Händen hält, täuscht leicht darüber weg.
Gar nicht weit von den Touristenattraktionen und den modernen Zentren der größeren Städte sieht man Sachen, die man kaum beschreiben kann. Und doch sind uns manche Anblicke so alltäglich geworden, dass wir kaum mal anhalten, um sie fotografisch festzuhalten. Da sich das geballte Leben in all seinen Facetten draußen abspielt, ist vieles von dem, was man am Straßenrand sieht, eigentlich eher privat. Im Vorbeifahren spulen sich vielerlei Szenen ab, Momentaufnahmen, die auch ohne Foto im Gedächtnis bleiben:
Kleine Kinder in sauberen Uniformen sammeln sich zum Morgenappell vor den Schulen.
Frauen sitzen schwatzend auf einer Bank vor einem der unzähligen kleinen Läden, Babies werden nebenbei gestillt.
Wäscherinnen hocken um große Bottiche herum.
Zwei junge Mädchen suchen einander das Haar nach Läusen ab.
Menschen waschen sich an öffentlichen Wasserhähnen und in Flüssen.
Hunde jagen über die Straße.
Eine Greisin, klein und dürr, kauert vor ihrer Hütte und stochert in der Erde.
Männer im besten arbeitsfähigen Alter lungern in schattigen Buden herum, schon am Vormittag sturzbetrunken.
Manch einer steht lange nur da, das Unterhemd über den Bauch hochgezogen, zwecks Belüftung, und guckt einfach, was so passiert.
Andere haben es sich in Bushaltestellen oder Hängematten bequem gemacht und halten ein Schläfchen.
Wieder andere sind in ein Handwerk vertieft, spalten und bündeln Brennholz zum Verkauf, flechten Bambusmatten oder schrauben an Motorrädern herum.
Eine Gruppe Männer kommt mit großen Pappkartons daher, Luftlöcher sind darin, Schwanzfedern ragen heraus – sie sind stolze Besitzer neu erstandener Kampfhähne.
Ein Junge sitzt neben einem Riesenhaufen geöffneter Kokosnüsse und schält das Mark heraus.
Vor bedenklich schiefen Hütten aus Bambusgeflecht und rostigem Wellblech wird in den ersten Sonnenstrahlen nach einem Dauerregen auf Zäunen, Büschen und Wäscheleinen die gesamte bescheidene Garderobe der Bewohner zum Trocknen ausgebreitet.
Am Sonntagmorgen füllen sich die Kirchen mit Menschen, die zur Feier des Tages ihre guten Kleider und ordentliche, aber unbequeme Schuhe tragen.
Eine Prozession von Fußgängern und Motorradfahrern in weißen T-Shirts folgt einem Leichenwagen mit weißem Sarg…
Das tropische Klima fordert seinen Tribut. Einstmals stattliche Holzhäuser werden einfach dem Verfall preisgegeben, keiner kümmert sich darum. Auch die farbig angestrichenen neuen Steinhäuser der Wohlhabenderen altern schnell. Überall lauert Fäulnis.
Nur die Berge von Plastikmüll verrotten nicht. Trotz einiger bereits existierender Bemühungen, den Müll zu trennen und zu entsorgen, bleibt noch viel zu tun. Jeder noch so kleine Einkauf wird ganz selbstverständlich doppelt und dreifach in Tüten verpackt. Manche Strände, abseits der Resorts, sind übersät mit Plastikmüll, und auch unter Wasser treibt einem so manches vor die Taucherbrille, was nicht dahin gehört.
Apropos „unter Wasser“: bestimmt ist unsere Sicht nicht maßgeblich, aber einige Küstenstriche haben wir inzwischen „abgeschnorchelt“ und stellen fest: das Meer ist tatsächlich vielerorts „leergefischt“! So artenreich die Korallenriffe auch sein mögen, so umwerfend schön die Blautöne des Meeres sind und so phantastisch klar die Sicht unter Wasser ist – es fehlen die Fische! Gut, dass seit einiger Zeit vermehrt Schutzzonen eingerichtet werden, in denen das Fischen verboten ist und die Bestände sich langsam erholen können. Die Kehrseite davon: die arbeitslosen Fischer betrinken sich und singen Karaoke oder wandern in die Slums von Manila ab um dort ihr Glück zu versuchen…
Auf Plakaten wird für Jobs als Haushaltsangestellte in den Arabischen Emiraten oder als Besatzungsmitglieder auf großen Schiffen geworben. Es winkt ein Monatslohn von 400 US Dollar, das klingt nicht viel für unsereins, ist aber mehr als das Doppelte von dem, was ein einfacher Arbeiter auf den Philippinen verdient.
Armut und Arbeitslosigkeit hin oder her – es ist die gesamte Einstellung zum Leben so grundverschieden von der deutschen! Es scheint, dass wer nicht unbedingt arbeiten muss, es lieber bleiben lässt und sich ausruht oder anderweitig des Lebens freut. Selten haben wir so viele fröhliche und unbeschwerte Gesichter gesehen. Unnötige Anstrengungen werden gerne vermieden. Jede noch so kurze Entfernung wird mit dem Motorrad zurückgelegt. Wer kein eigenes hat, der heuert für ein paar Pesos ein „Habal-Habal“ an, ein Motorradtaxi, und lässt sich fahren. In manchen Hotels sind die Zimmer im Erdgeschoss teurer als in den oberen Etagen, denn reiche Filipinos zahlen lieber etwas mehr, als sich mit lästigen Treppen abzumühen.
Auch die Einstellung zu Besitz, Sicherheit und Beständigkeit ist eine andere. Wer nicht viel hat, hat auch nicht viel zu verlieren. Eine Katastrophe ist jederzeit möglich, und irgendwo ist immer etwas los. Schilder warnen vor Erdrutschen und Überschwemmungen und weisen den Fluchtweg zum nächsten Evakuierungszentrum. Regelmäßig werden Inseln von Naturgewalten gebeutelt. Taifune, Erdbeben und Vulkanausbrüche verwüsten ganze Landstriche und fordern viele Opfer, während in anderen Landesteilen das Leben ganz normal weitergeht.
In vielen Dingen des Alltags wird wenig Aufhebens betrieben. Die Kleidung vieler Menschen stammt offensichtlich aus internationalen Kleidersammlungen. Auf den Märkten gibt es Berge von Second-Hand-Klamotten amerikanischer oder chinesischer Herkunft, die man für Pfennigbeträge kaufen kann.
Auch die philippinische Küche ist, sagen wir, eher einfach strukturiert. Morgens gibt es in den Eateries eine gewisse Auswahl von frisch gekochten Standardgerichten. Wer später kommt muss sich mit den kalten Resten begnügen. Beliebt sind Fastfood-Restaurants nach amerikanischem Vorbild, vor allem die landeseigene „Jollibee“- Kette, der Philippinen ganzer Stolz, die noch erfolgreicher ist als die amerikanische Konkurrenz.
Das mag genügen, um die Postkartenklischees etwas zu relativieren.
Unsere Weiterreise durch die philippinische Inselwelt bleibt spannend.
Das Klima ist zurzeit etwas angenehmer, die Hitze ist nicht mehr so extrem.
Wir haben die mittleren Visaya-Inseln Cebu und Bohol besucht und sind jetzt auf Leyte.
Außer unserer Hauptbeschäftigung, der Fortbewegung per Fahrrad, ist das Schnorcheln unsere große Leidenschaft. Es erfordert keinen großen Aufwand, und es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, fast schwerelos an der Wasseroberfläche zu treiben, mit dem eigenen Atem als einzigem Geräusch, und den Blick weit in die blauen Tiefen und auf viele außergewöhnliche Lebewesen zu richten.
Das große „Hailight“ war eine Exkursion zu den Walhaien an der Südspitze von Leyte. Wir hatten das große Glück, eine ganze Weile lang in unmittelbarer Nähe eines wohl 7-8 Meter langen (ungefährlichen!) Fisches zu schwimmen, eine Erfahrung, die sich kaum mitteilen lässt!
Für das Foto sei unserer Mitschwimmerin Christina aus Bastia herzlich gedankt!
Ein anderes tolles Erlebnis war es, die riesigen Sardinenschwärme zu sehen, die sich im Tanon-Strait tummeln, der Meeresstraße zwischen den Inseln Negros und Cebu. In diesem überaus fischreichen Gewässer zeigen sich die Erfolge des großräumigen Fischereiverbots.
Auf Bohol konnten wir in einem Reservat im Regenwald ein paar Exemplare der seltenen Koboldmakis sichten. Die winzigen nachtaktiven Primaten mit den Riesenaugen hocken tagsüber reglos an ihren Stammplätzen in Bäumen. Die etwa faustgroßen Pelzbündel mit den dünnen Fingerchen hätten wir aber ohne Hilfe nie entdeckt.
Jede Menge Wildnis kann man auch bei Ausflügen zu Wasserfällen und Höhlen erleben. Dabei ist oft genug schon die Anreise ein Abenteuer, da man durch abgelegene Dörfer kommt, die Wege mal im Schlamm enden und die Attraktionen selten ausgeschildert sind.
Während die Hauptsehenswürdigkeiten von Cebu und Bohol bereits touristisch ziemlich vermarktet werden und viele Besucher anziehen, ist das auf Leyte noch kaum der Fall. Wir sind gerade dabei, diese Insel der östlichen Visayas zu erforschen und wollen uns dann über Samar und Südluzon wieder nach Manila bewegen, wo sich der Kreis schließen soll.
mehr Infos zu Schweinereien Hier gehts zum 1. Teil und hier zu Teil 2 Die kompletten Texte schrieb Mecki, Internetkram macht Rolf, und Fotos machen wir beide.
Über Rückmeldungen freuen wir uns.
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