Auf und Ab in SumatraMai 2014Mit dem Rad unterwegs zu sein ist nicht immer schön und es ist nicht immer einfach. Eigentlich ist jeder Tag anstrengend. Abends merke ich immer meine Muskeln und bin müde. Es sei denn es geht nur bergab, mit Rückenwind, auf einer guten Straße ohne Verkehr. Bedingungen, die man nur äußerst selten hat.
Gerne zeige ich Fotos von einsamen Zeltplätzen, grandiosen Landschaften, erzähle von den tollen Menschen denen ich begegne und den vielen guten Erfahrungen.
Aber wenn man wie ich versucht, möglichst jeden Kilometer mit dem Rad zurück zu legen, dann lässt es sich nicht vermeiden auch Strecken zu fahren, die genau das eben nicht bieten. Der Trans-Sumatra Highway ist eine davon.
Sumatra ist heißMorgens um 8 Uhr ist es bereits über 30 Grad. Es gibt keine Berge, dafür jede Menge Hügel. Einer nach dem andern; es geht ständig hoch und runter. Habe ich einen Hügel erklommen, sehe ich bereits die nächsten vier. Oft ist es nicht möglich den Schwung zu nutzen um den nächsten Hügel wenigstens zur Hälfte hoch zu rollen. Die Straße ist zu schlecht - und da ist ja noch der Verkehr: hauptsächlich Lastwagen - zu Stoßzeiten und an Engpässen einer nach dem anderen, eine richtige Kolonne, zu ruhigeren Zeiten immerhin einer pro Minute. Die Straße ist schmal, es gibt nicht viel Platz zum Ausweichen, weder für mich noch für die LKWs, denn Gegenverkehr herrscht fast immer. Sie überholen trotzdem - so dicht, dass es scheint, ich bräuchte nur meinen Ellbogen etwas mehr auszustrecken um sie zu berühren.
Ich kann mich nicht erinnern, mich auf dieser Reise schon einmal so bedroht gefühlt zu haben. Selbst in Indien nicht, doch da war ich die „andere“ Fahrweise schon länger gewöhnt. Hier in Sumatra dauert es ein paar Tage bis ich Vertrauen fasse in das Fahrvermögen der Autofahrer, die Abstände richtig einzuschätzen. Und ich merke auch, dass viele Fahrer genug Abstand lassen -natürlich nicht genug für europäische Verhältnisse - wenn sie den Platz zum Ausweichen haben. Bei allem Verständnis für den indonesischen Verkehr (Überholen ist eine Notwendigkeit, sonst kommt man nie an), kann ich nicht anders als einigen Fahrern klare Tötungsabsichten zu unterstellen oder zumindest keinerlei Wertschätzung für das Wunder des Lebens in Form eines Radfahrers. Anders kann ich es mir nicht erklären, wenn mir auf meiner Spur ein Auto oder ein LKW in rasender Geschwindigkeit entgegenkommt und mir mit der Lichthupe signalisiert „Platz da, jetzt komme ich! Verschwinde oder ich mach dich platt.“ Nur leider kann ich mich nicht in Luft auflösen. Es gibt keinen Seitenstreifen, oft nur ein Feld oder eine Böschung oder ein Wald. Ich halte dann ungläubig die Luft an und sehe das Auto zentimeternah an mir vorbeirauschen, der Fahrer konzentriert geradeaus starrend.
Eine kleine Bewegung des Lenkrades oder ein kleiner Schlenker meinerseits und das wär`s dann gewesen mit diesem Leben.
Situationen wie diese, hier in Sumatra ein- bis zweimal pro Tag, erinnern mich daran wie kostbar unser Leben ist und wie schnell es auch vorbei sein kann. Und genau deswegen sollten wir unsere Zeit nutzen, das zu machen was uns glücklich macht. Das ist für mich vielleicht nicht gerade Fahrradfahren in Sumatra, aber doch die Welt mit dem Fahrrad zu bereisen.
Und was wären all die schönen Momente ohne diese Schwierigen? Was wäre das Leben ohne den Tod?
Schöne Momente gibt es auchAn einigen wenigen Tagen kann ich auf Nebenstrecken ausweichen. Es geht durch kleine Dörfer und an Flüssen entlang. Weniger Verkehr lässt mich das Radeln wieder genießen und ich habe genug Energie mich auch auf die Menschen einzulassen.
Mehrmals am Tag muss ich anhalten um Fotos von mir machen zu lassen. Besonders Jugendliche sind sehr darauf aus, ein Foto mit einem Bule, einem Weißen, auf ihrem Handy zu haben. Manchmal fragen sie noch nicht einmal nach meinem Namen oder wo ich herkomme, sondern wollen nur schnell ein Foto.
Wenn ich anhalte um etwas zu essen, werde ich aber direkt angesprochen wo ich herkomme und wo ich hin will. Mein Indonesisch ist noch sehr beschränkt, das Englisch der Menschen sowieso - außer: „Hello, Mister!“ habe ich in Sumatra nicht viel englisch gehört, das dafür hunderte Male am Tag. Hier leistet mir ein Brief, den mein Freund Pandi aus Battam geschrieben hat, gute Dienste. Er erklärt auf Indonesisch die Grundzüge meiner Reise und ergänzt meine Mappe mit Fotos aus verschiedenen Ländern. Öfters wird mir ein Schlafplatz angeboten, doch in den ersten Tagen lehne ich ab und suche mir lieber ein Hotel.
Schlechte Hotels
Meine Tage sind anstrengend und nachmittags habe ich genug vom Radeln. Ich suche mir ein Hotel - einfach um meine Ruhe zu haben und eine Tür, die ich hinter mir schließen kann, durch die der Verkehr der Straße und der andere Lärm nur noch gedämpft durchklingen, wo ich allein sein kann und nicht die ganze Zeit angestarrt oder angesprochen oder fotografiert werde.
In den größeren Orten gibt es zwei Arten von Hotels: ein neues mit klimatisierten Zimmern und weit außerhalb meines Budgets und eine alte, heruntergekommene Absteige. Zimmer die seit 20 Jahren nicht renoviert wurden, durchgelegene Betten und schimmelige Wände. Es ist mir unverständlich wie man in einem Land, wo es ständig regnet und feucht ist, Räume ohne Fenster bauen kann. Manchmal haben diese Zimmer sogar keinen Ventilator, der kostet dann extra. In Orten wo es nur ein einziges Hotel gibt, bekomme ich nur selten ein Zimmer unter 7 Euro. Das ist teuer im Vergleich zu den übrigen Preisen in Indonesien und auch teurer als in anderen Teilen Asiens. In Thailand z.B. bekommt man für dasselbe Geld einen sauberen Raum mit Klimaanlage und Fernseher, hier in Sumatra ein dreckiges, feuchtes, dunkles Loch mit einem durchgelegenen Bett.
Einladung zum ÜbernachtenEinen Abend habe ich mir bereits einen Schlafplatz in einer Dorfschule ausgeguckt. Die Schulgebäude hier sind alle ähnlich. Es gibt immer eine Toilette und vor den Klassenräumen immer etwas überdachten Platz, falls es regnet. Auch in Klassenräumen habe ich schon geschlafen. Der Nachteil ist, dass ich dann am nächsten Morgen von neugierigen Kindern umringt bin, wenn ich nicht früh genug aufwache und meine Sachen packe.
Diesen Abend also möchte ich gerade mein Zelt vor einem Klassenraum aufbauen, als ein Mann mich einlädt doch lieber in seinem Haus zu schlafen. Seine Frau ist Lehrerin und das Haus direkt neben der Schule. Ich willige ein und freue mich auf eine Dusche, die hat mir noch gefehlt nach meinem Abendessen.
Einen ruhigen Abend möchte ich verbringen. Es ist der zweite Jahrestag meiner Reise. Natürlich sind Jahre nur eine der Einheiten in die wir Menschen unsere Zeit einteilen, andere Dinge sind wichtiger, doch trotzdem ist es ein besonderer Tag für mich, der mich zurückblicken und reflektieren lässt.
Nachdem die Neugierde der Familie nachgelassen hat, frage ich, wo ich schlafen kann. Ich bekomme einen Platz im Wohnzimmer und natürlich läuft der Fernseher in voller Lautstärke, das Licht ist an und die Kinder toben herum. Hier wird der Privatsphäre nicht so viel Bedeutung zugemessen und auf einen schlafenden Gast keine Rücksicht genommen. Hätte ich doch besser die Einladung abgelehnt und in der Schule geschlafen. Doch ich habe schon so viele Nächte unter suboptimalen Bedingungen verbracht und kann trotzdem irgendwann einschlafen.
Palembang - die erste große StadtNach ein paar Tagen erreiche ich Palembang, eine der größeren Städte in Indonesien (knapp 2 Millionen Einwohner). Es dauert gute 2 Stunden ehe ich das Stadtzentrum erreiche; die Straßen sind hoffnungslos verstopft. Lastwagen, Busse, Autos, Motorräder, viele Motorräder, Menschen mit Handkarren und der restliche Platz wird von Fußgängern aufgefüllt. Und einem müden Radfahrer, dem es gelingt ein günstiges und gutes Hotel zu finden.
Am nächsten Tag mache ich mich zu Fuß auf um in dieser Stadt einen ruhigen, schönen Ort zu finden. Vielleicht einen Park oder einen Platz am Fluss. Doch alle Straßen sind voll von Verkehr, Lärm und Abgase überall. Die Gehwege, soweit vorhanden, werden von Motorrollern in Beschlag genommen, parkend oder fahrend, dazwischen überall Menschen.
Auf einer Straße gibt es einen Markt, Menschen verkaufen Gemüse auf Plastikplanen am Straßenrand. Nur zentimeternah fahren die Autos vorbei und fahren das Gemüse (und die Einkäufer) beinahe zu Matsch. Jede Überquerung einer Straße wird zu einer lebensgefährlichen Unternehmung. Irgendwann gebe ich es auf einen ruhigen Platz zu finden, kaufe in einem Buchladen einen Straßenatlas von Indonesien - in der Hoffnung darin kleinere Straßen zu finden - und ziehe mich resigniert in mein Hotelzimmer zurück. Immerhin habe ich gut gegessen, in einem Restaurant mit einer richtigen Speisekarte.
Nach zwei Wochen und 1000 Kilometern bin ich dann in Bakauheni, am östlichen Ende von Sumatra angelangt. Ich muss sagen, es waren nicht die schönsten zwei Wochen dieser Reise.
Überfahrt nach JavaEine Fähre soll mich und mein Rad nach Java bringen. Die Überfahrt dauert eigentlich nur eine Stunde, doch da in Indonesien auch auf dem Wasser viel Verkehr herrscht, werden daraus vier.
Ich habe nicht gefrühstückt, doch zum Glück lädt mich der Kapitän auf die Brücke ein. Es kommt nicht so oft vor, dass ein Weißer mit dem Rad hier vorbeikommt und der Kapitän ist neugierig. Er zeigt mir alte Seekarten, erklärt mir das Schiff und bringt mich anschließend in die Kantine zum Mittagessen mit der Crew. Immerhin ein guter Abschluss von Sumatra.