Endlich in Santiago...... ...........und was mach ich jetzt? Ich liege rücklings auf dem großen Platz vor der Kathedrale, blinzle in den blauen Himmel und kann es doch gar nicht glauben, hier zu sein. Das ist schon ein überwältigender Moment, der meine Vorstellungsgabe bei weitem übertrifft. Jubel, Trubel, Heiterkeit und Stille. Menschen umarmen sich, lachen, weinen, liegen einfach nur auf dem Boden, starren auf die Türme der Kirche, hocken schweigend an Wänden, fotografieren sich gegenseitig, erzählen Geschichten, schwärmen vom Erlebten. Jetzt, wo ich das zu Hause schreibe, mich an den Tag zurück erinnere, brauche ich ein Taschentuch. Vor der Kathedrale war ich dafür noch viel zu sehr mit der Frage beschäftigt:
"…….und jetzt?"Mit dieser Frage bin ich hier scheinbar alleine. Ich habe den Eindruck, dass ganz viele die Antwort schon kennen. Mit einem Holländer gehe ich zum Pilgerbüro. Er fährt morgen früh zurück, wird abgeholt. Wir stehen zwei Stunden Schlange. Er kam mit dem Rad von Holland hierher und spricht von einer langen Zeit der Einsamkeit in Frankreich. Er spricht kein Französisch. Mit den Pilgern vor und hinter uns haben wir viel zu erzählen. Beim Warten auf die Urkunde bekomme ich mit, dass viele sofort, spätestens aber morgen schon wieder die Heimreise antreten. Ich verstehe das nicht. Das ist ja so wie
.....bin kaum da, muss ich fort. Ich könnte es hier länger aushalten.
Irgendwann bin ich an der Reihe, gehe zu Schalter sechs und finde vor lauter Aufregung meinen Ausweis nicht.
"Wo kommen Sie her? Von Alcoutim? Via Lusitana? Kenne ich nicht." Ich zeige ihr das Buch und sie sagt:
"Das werde ich mir anschaffen. Die Strecke ist bestimmt wunderbar. Sind Sie jetzt auch süchtig? ABER: Sie haben viel zuwenig Stempel. Eigentlich dürfte ich Ihnen die Urkunde nicht aushändigen. Seien Sie nur froh, dass Sie bei mir gelandet sind. Sie brauchen eigentlich für jeden Tag ZWEI Stempel. Doch ich glaube Ihnen." Wir erzählen noch ein bischen, sie schreibt meinen Namen auf Latein in die Urkunde, und ich brauche nach dem Schreck erstmal was zu trinken, bevor ich ins Hotel gehe.
…………den Primero hab ich mir redlich verdient
Der Abend ist erfüllt von Herzlichkeit, gutem Essen, bestem Wein und hunderten Eindrücken, die ich gar nicht alle beschreiben mag. Zwei Erlebnisse sind aber zu wertvoll, als das ich sie unerwähnt lassen möchte.
Zum einen sehe ich ein Schild mit dem Namen
A-Vaca. Es erinnert mich an ein Rad von Jose Maria und seine unerschütterliche Zuversicht in die Dinge. Ich stelle mir vor, ich sei von Sevilla bis hierhin und weiter nach Finisterre gelaufen. Das kann ich beim bestem Willen nicht begreifen und empfinde mehr als höchsten Respekt.
Zum anderen habe ich ein neues Bild für das Wort Stille. Ich höre Gesang, der mich magisch anzieht. Im Gegenlicht der untergehenden Sonne steht eine chilenische Sopranistin und singt. Wie angewurzelt bleibe ich zunächst stehen, setzte mich dann auf die Stufen und könnte ihr endlos zuhören.
Zum besseren Verständnis könnt ihr auf das Bild klicken.
. Santiago 01. OktoberNachdem ich mich um die verschiedensten Dinge in der Unterstadt gekümmert habe, komme ich wieder zurück an den Platz meiner Ankunft. Der Strom der Pilger ist zwar zur jetzigen Jahreszeit überschaubar, doch er reißt nicht ab. Neue Gesichter, neues Lachen, neues Staunen. Einige Gesichter kommen mir bekannt vor. Mit manchen komme ich ins Gespräch.
Es ist herrlich hier. Der Radreisende Thomas schrieb irgendwann:
"Santiago ist einfach nur toll." Dem gibt es nichts hinzuzufügen!
Es gibt viele Momente der Begegnung. Es gibt viele Momente der Stille. Ich kann mir aussuchen, was ich möchte. Ich empfinde diesen Tag nur noch als ein einziges riesengroßes Geschenk.
In dem Wissen, dass die Chilenin wieder singt, gehe ich zurück zu
dieser Treppe, setzte mich und höre hin. Es gibt für mich nichts mehr zu tun. Meine Entscheidung für die Rückfahrt nach Lissabon ist gefallen. Vieles von dem, was ich hier im Bericht geschrieben habe, geht mir durch den Kopf, Bilder rasen vorbei. Ich möchte das Wort DANKESCHÖN in den Himmel posaunen und kann doch nur den Tränen ihren Lauf lassen.
"Jürgen, das ist dein Tag, den Du behalten wirst, bis der Vorhang fällt." Ja.
Nach dem Abendessen lege ich mich noch einmal auf die wärmenden Steine am Zielblock, drehe mich wie ein Derwisch im Kreis, brülle mein Dankeschön und sonstwas in den Himmel.
Es ist Zeit, Zeit zu feiern, denn
Tage wie diese erlebst Du nur selten. Musik liegt in der Luft.
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Mit einem Bild voll strahlendem Glanz darf ich mich verabschieden und ganz herzlich fürs geduldige Lesen bedanken
Jürgen