Georgien: ein Land zwischen Europa und Asien, mit uralter Kultur und bewegter Geschichte, eingerahmt zwischen Schwarzem Meer, Großem und Kleinen Kaukasus. Hier suchte Jason nach dem goldenen Vlies, hier wird seit 8.000 Jahren Wein angebaut und getrunken und hier wurden Stalin und Beria geboren.
1.250 Kilometer radelte ich durch das ehemalige Iberien, 15 Tage von Ende März bis Mitte April. Von Ost nach West und wieder zurück. Durch Schnee, Regen, Sturm und Sonnenschein. Mit Temperaturen von -5 Grad bis +23 Grad. Auf gut ausgebauten Autobahnen und scheinbar längst vergessenen Pisten. Und erlebte ein Land, noch wild, im Anfang, touristisch ungeschliffen, ursprünglich, post-sowjetisch, mit ungemein gastfreundlichen Menschen, einer sehr guten Küche, leckerem Wein, beeindruckenden Landschaften und historischen Sehenswürdigkeiten.
Heute möchte ich euch vom Tourabschnitt hoch in den Großen Kaukasus, nach Mestia berichten.
Atemberaubende Täler, hohe schneebedeckte Berge, kleine uralte Dörfer, die sich an die Berghänge schmiegen und eigenartige Türme, die wie Pilze aus der Landschaft ragen: wer Georgien verstehen will, der muss nach Swanetien reisen. Swanetien ist ein Land, hoch oben im Großen Kaukasus und schwer zugänglich, tief in den Tälern verborgen. So abgelegen, dass man früher gar Schätze und besonders Wertvolles aus dem ganzen Land vor Invasoren hierher in Sicherheit brachte. Die Dörfer der Swanen sind von den bekannten Swanen-Türmen geprägt. Sie sind Wach- und Signalturm, Rückzugsort bei Angriffen, Schatzkammer und Lager in einem. Jede Familie hatte einen Turm, der direkt an ein Wohngebäude anschloss. Die Türme der Swanen prägen das Land und sie waren es auch, die mich neugierig gemacht haben. Ich wollte immer dorthin und mir die Dörfer anschauen und die Berglandschaft erleben.
Mestia ist die „Hauptstadt“ Swanetiens und liegt inmitten der kaukasischen Bergen, aber nur 1.450 Meter hoch. Der georgische Staat hat inzwischen aus einem ehemals rustikalen Bauerndorf eine Ferienstadt mit Flughafen und Skipisten gebaut. Nicht weit entfernt, aber auf 2.100 Metern liegt das höchste, dauerhaft bewohnte Dorf Europas: Ushguli. Im Sommer kann man das Weltkulturerbe auf einer Piste gut erreichen. Als ich da war, gingen nur ein paar Jeeps für unglaublich viel Geld, die sich durch den Schnee nach oben gruben. Ursprünglich wollte ich über Ushguli nach Lentekhi und von dort wieder ins Tiefland fahren, aber Schnee und Eis versperrten die Strecke und den 3.000 Meter hohen Pass. Erst im Juni soll ein Durchkommen möglich sein. Daher ging es nur bis Mestia und den gleichen Weg wieder zurück. Hinzu lud ich mein Rad auf einen Kleinbus, rückzu radelte ich die Strecke durch die kaukasischen Berge.
Das Tor nach Swanetien ist Zugdidi, eine Stadt in der kolchischen Tiefebene nahe der abchasischen Grenze. Von hier aus führt die Straße erstmal 20 Kilometer schnurgeradeaus nach Norden, Richtung Kaukasus. Mit Blick auf die Berge fährt man erstmal in ein Flusstal, bevor sich die ersten Berge wie eine Wand direkt hinter dem Ort Jvari erheben. Steil geht es bergauf, hin zum Enguri-Stausee, der hier von einer der größten Staumauern des Kaukasus in Zaum gehalten wird. Lange fährt man entlang dieses Sees, immer wieder hoch und runter. In den vergangenen Jahren wurde die Straße nach Mestia umfangreich ausgebaut und auch mit Tunneln versehen. Sie erleichtern die Fahrt in diesem Abschnitt und sind gut mit dem Fahrrad zu durchfahren. Die insgesamt 136 Kilometer von Zugdidi nach Mestia sind ohnehin eine echte Kreislaufstrecke, egal ob man hoch fährt oder runter. Immer wieder kommen Pässe, die hart erkämpft werden müssen. Insgesamt habe ich 5 Pässe befahren, der höchste folgt direkt hinter bzw. vor Mestia, wo es knackig hinauf geht auf 1.500 m.
Zwischenstation ist der kleine Ort Khaishi, wo man in kleinen Läden seine Vorräte für die kommenden 65 km auffüllen kann. Dann geht es richtig rein in den Kaukasus. Die schneebedeckten 4- und 5.000er zeigen sich in ganzer Pracht und man durchradelt ein Tal, eingerahmt von schneebedeckten Giganten. Die ersten Swanen-Türme tauchen auf, die Straße wird etwas schlechter. Oft versperrt Geröll den Weg und zwingt Auto- und Radfahrer zum Ausweichen. Insgesamt war der Verkehr sehr gering, was aber am Wetter und der frühen Jahreszeit liegen kann. Denn noch sind die Nächte und auch die Tage hier oben im April kalt und der Schnee fällt bis auf 700 m Höhe.
Und so empfangen mich in Mestia 15 cm Neuschnee und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ich wasche meine Klamotten und kann sie am Abend tiefgefroren in mein Zimmer zum Trocknen aufstellen. Ich habe mich bei Nino einquartiert, ein sehr familiär geführtes Hostel, in dem ich umfangreich bekocht werde und die georgische Küche schätzen lerne.
Mestia ist ein sehr kleines Dorf, das zwar saniert wurde, aber in dem nun die neuen Gebäude wieder verfallen. Durch das touristisch-pittoresk gestaltete Zentrum ziehen Kühe und Hunde. Ein paar Läden buhlen um Kundschaft und Souveniershops um Touristen. Aber die Sonne und der blaue Himmel stimmen die Szene milde. Ich laufe durch den Ort und suche einen freien Blick auf die 5.000er, in deren Vordergrund die Swanen-Türmen sich erheben. Mühsam erklimme ich dafür die Gassen, steige immer höher hinauf und folge einem Pfad voller Kuhscheiße zu einer Wiese. Hier habe ich zwar versaute Schuhe und Hosen, aber endlich den erhofften Blick auf die Berge und Türme. Ja, dafür bin ich hierher gereist – einfach wunderschön!
Ganz in der Nähe entdecke ich ein kleines Museum, eigentlich ein Privathaus mit Turm, das man besichtigen kann. Obwohl nicht offen, kann ich trotzdem rein und einen Swanen-Turm allein hinaufklettern. Auf wackeligen, schmalen Leitern geht es immer höher hinauf, bis ich oben durch das schneebedeckte Dach steigen kann. Die Fensteröffnungen des Turmes sind wie Schießscharten gebaut und waren offensichtlich auch dafür gedacht. In den Fensteröffnungen liegen Tierknochen. Ich habe trotz Nachfrage nicht erfahren können, warum sie dort lagen und welche Bedeutung sie haben.
Am nächsten Tag packe ich mein Rad und mache mich auf vereisten und schneebedeckten Straßen auf den Weg zurück nach Zugdidi. Obwohl es leicht schneit, scheint die Sonne und die Wolken verziehen sich. Es ist kalt und besonders auf den längeren Teilabfahrten friere ich immer wieder dolle. Das Fahren auf dem Eis geht ganz gut. Die Sonne taut die Straße frei und wärmt. Allerdings sind die Teilstücke, die im Schatten liegen, immer noch vereist und sehr kalt. Ich muss also höllisch auf plötzliche Eispassagen aufpassen.
Wird es bergab richtig kalt, so komme ich bei den Passanstiegen wieder ordentlich ins Schwitzen. Was dann natürlich wieder gleich zu Frieren führt. Kilometer um Kilometer arbeite ich mich durch die Berge. Immer wieder halte ich an und genieße die Landschaft und die beeindruckende Aussicht.
Meine Hoffnung, dass der Schnee unterhalb 1.000 Meter aufhört erfüllt sich leider nicht. Das Wetter in Georgien ist auch im Westen frischer geworden und in der letzten Nacht hat es bis auf 700 Meter runtergeschneit. Die Sonne hat einiges wieder tauen lassen, was aber zu Erdrutschen und Geröllabgängen geführt hat. Immer wieder rollen durchaus große Steine vor und hinter mir auf die Straße. Die Landschaft ist in Bewegung. Kein gutes Gefühl. Aber mit dem Fahrrad kann ich immer gut die Hindernisse umfahren und komme auch gut über die Streckenabschnitte hinweg, die durch einen Erdrutsch komplett beschädigt sind.
Ich erreiche die ersten Tunnel und wenig später den Stausee. Doch bevor es die letzten Kilometer steil bergab nach Jvari geht, muss ich noch mal hoch, über einen Pass. Es ist der vorletzte vor Zugdidi, denn hinter Jvari, welches in einem Flußtal liegt, geht es noch mal kurz nach oben, bevor ich dann langsam nach unten Richtung Schwarzes Meer rolle.
Nach einer Nacht im Zelt am Straßenrand fahre ich dann über Zugdidi weiter nach Poti ans Meer. Ich überquere den Rioni Fluss und radle weiter entlang des Strandes Richtung Batumi, bevor ich bei Kobuleti nach Osten in die Weinberge Westgeorgiens abbiege.
Übrigens segelte der Legende nach Jason mit seinen Argonauten auf dem Rioni Fluss in die Stadt Kutaisi, um hier das Goldene Vlies zu finden. Dabei handelt es sich um ein Schaffell voll Gold. Und tatsächlich haben die Swanetier eine auch noch heute angewandte Technik erfunden, aus ihren Flüssen hoch oben in den Bergen das Gold mittels eines Schaffells auszuwaschen. Dieses wurde in den Flusslauf gespannt und fing die Goldkörner ein. Am Ende hatte man dann ein Schaffell voll Gold, ein goldenes Vlies.
Gold habe ich leider nicht mitgebracht, dafür aber noch ein paar tolle
Bilder und Videos .